Aktuelle Ausgabe

Bd. 5 Nr. 3 (2023): Konzepte und Erkenntnisse zur Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte für die (multi)professionelle Kooperation in der inklusiven Bildung

Mit der Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems gehen für die beteiligten Institutionen und Personen eine Reihe von Aufgaben und Herausforderungen einher. Ein zentrales Thema, das bereits mit Beginn der Diskussionen um integrative (schulische) Bildung gesetzt wurde, stellt dabei die Kooperation bzw. Zusammenarbeit verschiedener an pädagogischen Prozessen beteiligter Personen, Professionen und Institutionen dar. Die Arbeit im Team wird als eine „unabdingbare Voraussetzung“ (Arndt et al., 2017, S. 27; Lütje-Klose & Urban, 2014) für einen erfolgreichen inklusiven Unterricht betrachtet. Dementsprechend liegen mittlerweile national und international zahlreiche Befunde zur Kooperation im Kontext inklusiver Bildung vor (vgl. Kreis, Wick & Kosorok Labhart, 2016; Muckenthaler, 2021; Neumann, 2019; Serke & Streese, 2022; Werning & Arndt, 2013).

Die empirischen Ergebnisse weisen insbesondere darauf hin, dass Kooperation in schulischen und anderen pädagogischen Kontexten kein Selbstläufer ist, sondern mit zahlreichen Herausforderungen und Schwierigkeiten verbunden ist, für die Institutionen und Personen Lösungen und Umgangsweisen entwickeln müssen. So stellen z.B. Hamacher und Seitz (2020) in der Untersuchung kooperativer Praktiken in der inklusiven frühen Bildung fest, dass diese „nicht umstandslos eine ertragreiche Zusammenführung vielfältiger Perspektiven bewirken und nicht ‚automatisch‘ zum Qualitätshebel werden“ (S. 32). Vergleichbare Schlussfolgerungen finden sich auch im Bereich der schulischen Inklusion (Muckenthaler, 2021, S. 67ff.) oder auch der Kooperation zwischen verschiedenen pädagogischen Einrichtungen (Arnoldt, 2022).

Um den Herausforderungen auf individueller und institutioneller Ebene angemessen begegnen zu können, erscheint daher eine entsprechende Qualifizierung des zukünftigen und auch des aktuellen pädagogischen Personals mehr als sinnvoll, um das unbestritten vorhandene Potential der Kooperation besser ausschöpfen und für eine inklusive Entwicklung nutzbar machen zu können. Wie dies, z.B. im Kontext der Lehrer:innenbildung gelingen kann, ist eine bislang weitgehend unbeantwortete Frage, der im Rahmen dieser Ausgabe weiter nachgegangen werden soll. Mit diesem Heft möchten wir Sie dazu einladen, sich mit aktuellen Diskussionen zur Qualifizierung für die (multi)professionelle Kooperation im Kontext von inklusiver Bildung auseinanderzusetzen. Die Beiträge befassen sich auf eine vielfältige Weise mit konzeptionellen und empirischen Fragestellungen, darunter etwa die Herausforderungen der Kooperation, geeignete Aus- und Weiterbildungskonzepte, sowie die Weiterentwicklung von Kooperationsstrukturen in pädagogischen Einrichtungen und mögliche erforderlichen Maßnahmen zur Unterstützung der Qualifizierung des pädagogischen Personals und der Institutionen.

Marie-Ann Kückmann eröffnet mit ihrem Beitrag „Vom Schieben und geschoben werden…“ Grundlegungen zu einer multiperspektivischen Qualifizierung (mpQ) zur Förderung multiprofessioneller Teamarbeit (mpT) im Kontext inklusiver Bildung“ das Heft. Sie gibt eine theoriegeleitete Begründung zu Referenzsystemen, die die Komplexität des sozialen Konstrukts multiprofessioneller Teamarbeit im Spannungsfeld von sowohl Struktur- als auch Handlungsmomenten beleuchten und konstatiert entsprechende Qualifizierungskonzepte. Der vorliegende Artikel versucht diesbezüglich sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Perspektive vertiefende Einsichten in die multiprofessionelle Teamarbeit im Kontext inklusiver Bildung zu eröffnen. Die Autorin skizziert hierauf aufbauend erste Anschlussstellen für mögliche Qualifizierungskonzepte und stellt damit einen Ausgangspunkt für eine wissenschaftlich fundierte Gestaltungsarbeit dar.

Im zweiten Beitrag des Thementeils dieser Ausgabe „Selbstinszenierungspraktiken als Weg zu Stärkenorientierung, Selbstbestimmung und Teilhabe – eine Kollegiale Weiterbildung für multiprofessionelle Akteursgruppen im (inklusiven) Übergang Schule-Beruf“ stellen Heike Kundisch, H.-Hugo Kremer und Franziska Otto ein Qualifizierungsformat für (multi)profesionelle Bildungsakteur:innen vor, das zur entwicklungsförderlichen Nutzung von Selbstinszenierungspraktiken dient. In ihrem Beitrag präsentieren sie den Projektrahmen samt Konzeption und Entwicklung des Weiterbildungsformats sowie methodische und inhaltliche Grundlagen zur ‚Kollegialen Weiterbildung‘, welcher im Kontext von Jugendlichen in ausbildungsvorbereitenden Bildungsgängen (Übergang Schule-Beruf) mit besonderem Förderbedarf angesiedelt ist. Die Autor:innen arbeiten dabei den Zugang über eine Grundlegung zur Selbstinszenierung heraus und zeigen dessen Potenziale im Kontext inklusiver Berufsbildung auf. Über die Darstellung des Rahmenkonzepts gelingt den Autor:innen die Darlegung einer ersten Orientierungshilfe, sie stellen jedoch auch Herausforderungen, die auf entsprechende Qualifizierungsbedarfe für Bildungsakteur:innen hinweisen, dar.

Sandra Lammerding, Silvia Fränkel, Petra Hanke und René Schroeder widmen sich in ihrem Beitrag „Gelingensbedingungen und Herausforderungen der Kooperation von Studierendentandems im Praxissemester“ der Kooperation von Lehrkräften verschiedener Lehrämter. Kooperation sehen die Beitragenden als wesentliche Gelingensbedingung, aber auch als Herausforderung im Umgang mit Heterogenität innerhalb des Kontexts Schule. Sie skizzieren das Modellprojekt „Inklusion – Kooperation in (multi)professionellen Teams in der Primarstufe“, das sich zum Ziel gemacht hat, die Kooperation von Lehrkräften innerhalb entsprechender Ausbildungsinhalte und -formate in der universitären Hochschullehre zu verankern. Das Projekt zielt darauf ab, Studierende des Lehramts Grundschule und des Lehramts sonderpädagogischer Förderung innerhalb einer gemeinsamen Seminararbeit mit dem Thema Kooperation in Kontakt zu bringen. Der Beitrag diskutiert die Frage, wie die Tandemarbeit von den Studierenden im Praxissemester erlebt wird und dies für den Professionalisierungsprozess genutzt werden kann.

Daran thematisch anschließend befasst sich Alessa Schuldt in ihrem Beitrag „Multiprofessionelle Kooperation als Zielperspektive der universitären Lehrer*innenbildung. Systematisches Literaturreview zu Ausbildungsangeboten für Lehramtsstudierende und deren Wirkung im Kontext der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ mit der Darstellung einer systematischen Übersicht im Stil des systematischen Literaturreviews. Dabei gelingt es der Autorin zentrale konzeptionelle Ergebnisse und empirische Befunde zu dem aktuellen Forschung- und Entwicklungsstand von Ausbildungsformaten für eine inklusionssensible Lehrer:innenbidlung aufzuzeigen. Schuldt diskutiert in ihrem Aufsatz abschließend mögliche Implikationen für die inklusionssensible Lehrer:innenbildung.

Lisa-Katharina Möhlen, Tina von Dapper-Saalfels und Carolin Bätge thematisieren in ihrem Beitrag „Multiprofessionelle Kompetenzen für eine inklusionsorientierte Professionalisierung im Studium des allgemeinen Lehramts – Perspektiven aus Niedersachsen“ die Vermittlung von multiprofessionellen Kompetenzen in der allgemeinen Lehramtsausbildung mit dem Ziel, Lehrpersonen vor dem Hintergrund eines weiten Inklusionsverständnisses auf die Schulpraxis vorzubereiten. Dabei gehen die Autorinnen den Fragen der Konstitution der Kompetenzbereiche einer inklusionsorientierten Professionalisierung von Studierenden sowie der formellen Berücksichtigung der identifizierten multiprofessionellen Kompetenzen während der Qualifizierung Studierender nach. Mithilfe einer Dokumentenanalyse relevanter Hochschuldokumente werden die vorliegenden Fragestellungen untersucht und theoriebasiert inhaltsanalytisch ausgewertet.

Erika Fischer und Barbara Drechsel führen in ihrem Beitrag „Ein Seminar im BAS!S-Projekt an der Universität Bamberg zur Vorbereitung multiprofessioneller Kooperationskompetenzen Studierender“ in die Projektarbeit ein, die sich zum Ziel gemacht hat angehende Lehrkräfte für kooperatives Arbeit und den Umgang mit Heterogenität, insbesondere in inklusiven Settings, zu sensibilisieren. Die Autorinnen stellen zuerst ihr Seminarkonzept vor und diskutieren im Anschluss die dargestellten Lerngelegenheiten und deren Wirksamkeit auf der Grundlage erster Evaluationsergebnisse.

Sandra Grüter, Julia Gorges, Birgit Lütje-Klose, Phillip Neumann und Elke Wild stellen in ihrem Beitrag „Jahrgangsteams zur Kooperation mit Eltern anregen – eine Aufgabe für Fortbildungen? Evaluationsergebnisse zum Bielefelder Fortbildungskonzept zur Kooperation in inklusiven Schulen (BiFoKi)“ Evaluationsergebnisse des Projekts BiFoKi vor. Dabei gehen die Autor:innen dem Thema elterlicher Kooperation und Elternarbeit im Kontext von sogenannten Jahrgangsteams innerhalb einer Fortbildungsmaßnahme nach. Die Fortbildung adressiert inklusive Schulen und beschäftigt sich neben der Kooperation innerhalb der Schule auch mit der interinstitutionellen Zusammenarbeit mit Eltern. Der Beitrag stellt die Fortbildungsevaluation methodisch sowie inhaltlich dar und diskutiert die Ergebnisse zur Kooperationsbereitschaft der Eltern und dem Kooperationsverhalten innerhalb der Erziehungs- und Bildungskooperation von Lehrkräften.

In einem zweiten Beitrag werden weitere Daten aus dem Projekt BiFoKi (Bielefelder Fortbildungskonzept zur Kooperation in inklusiven Schulen) von Verena Wohnhas, Janka Goldan und Birgit Lütje-Klose vorgestellt. Der Blick richtet sich in diesem Beitrag auf die Arbeitszufriedenheit von Lehrkräften, insbesondere auf die „Beteiligung an Aufgaben als eine Facette von Arbeitszufriedenheit in inklusiven Schulen“. Wohnhas, Goldan und Lütje-Klose untersuchen dies an sonderpädagogischen Lehrkräften und Regelschullehrkräften von inklusiven Gesamt- und Sekundarschulen in NRW im Rahmen der vorliegenden Daten durch das Projekt und kommen dabei zu interessanten Ergebnissen.

Claudia Urbanek, Alina Quante und Astrid Rank beschäftigen sich in ihrem Beitrag „Kooperationskonflikte in inklusiven Settings“ aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive heraus mit Konzeptionalisierungen von Konflikten und betten diese in den aktuellen Forschungsstand zu Kooperationskonflikten in inklusiven Settings ein. Der Beitrag stellt die Analyse von Interviewdaten, die im Rahmen des BMBF-Projekts „P-ink“ erhoben wurden, vor, die typische Kooperationskonflikte von Lehrkräften der Primarstufe und sonderpädagogischen Lehrkräfte abbildet. Abschließend arbeiten die Autor´:innen Möglichkeiten für die Qualifizierung für pädagogischer Fachkräfte in inklusiven Settings im Zusammenhang mit Kooperationskonflikten heraus und schließen mit ihrem Beitrag diesen Themenschwerpunkt.

Im allgemeinen Teil der Ausgabe beschäftigen sich thematisch alle Autoren mit unterschiedlichen Dimensionen des inklusiven Sportunterrichts. Christoph Kreinbucher-Bekerle stellt in seinem Beitrag die Perspektiven multiprofessioneller Lehrkräfte und Assistenzen im inklusiven Schulsport vor und fokussiert dabei bewegungsbezogene Schulfahrten. Christopher Mihajlovic beschäftigt sich im zweiten allgemeinen Beitrag mit der Untersuchung des finnischen Curriculums aus einer ableismuskritischen Perspektive. Er arbeitet schwerpunktmäßig mit der Betrachtung von Leistung und Körper im inklusiven Sportunterricht und untersucht mögliche Exklusionspotenziale. Im dritten allgemeinen Beitrag zeigen André Meister, Björn Brandes und Jan Erhorn die Chancen und Herausforderungen des gemeinsamen Reflektierens mit Schüler:innen von Anspruchsdimensionen im inklusiven Sportunterricht. Sie skizzieren dabei die Entwicklung eines anforderungssituationsbezogenen Kompetenzprofils für Lehrkräfte des Fachs Sport.

Viel Freude bei der Lektüre der vielfältigen Beiträge dieser Ausgabe wünscht im Namen der Redaktion

Sophia Laux

 

Literatur

Arndt, A.-K., Nehring, A., Schiedek, K., Schiedek, S., Schomaker, C. & Werning, R. (2017). Sonderpädagogisches und gymnasiales Lehramt in Kooperation? Zwei Pilotprojekte mit Studierenden. journal für lehrerInnenbildung, 17, 26–30.

Arnoldt, B. (2022). Kooperation zwischen Ganztagsschule und außerschulischen Akteuren. Eine Forschungsübersicht. München: Deutsches Jugendinstitut. doi: 10.36189/DJI312021

Hamacher, C. & Seitz, S. (2020). „Was könnte denn das Kind haben?“ Dynamiken der Kooperation von Kindertagesbetreuung und Frühförderung im Kontext inklusionsbezogener Professionalisierung. QfI - Qualifizierung für Inklusion, 2(3). doi: 10.21248/QFI.42

Kreis, A., Wick, J. & Kosorok Labhart, C. (Hrsg.). (2016). Kooperation im Kontext schulischer Heterogenität (Netzwerke im Bildungsbereich, Bd. 9). Münster: Waxmann.

Lütje-Klose, B. & Urban, M. (2014). Professionelle Kooperation als wesentliche Bedingung inklusiver Schul- und Unterrichtsentwicklung Teil 1: Grundlagen und Modelle inklusiver Kooperation. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 83, 112–123. doi: 10.2378/vhn2014.art09d

Muckenthaler, M. (2021). (Multiprofessionelle) Kooperation im Kontext von Inklusion. Eine Studie mit Lehrkräften des Sekundarbereichs. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Neumann, P. (2019). Kooperation selbst bestimmt? Münster: Waxmann. doi: 10.31244/9783830990437

Serke, B. & Streese, B. (Hrsg.). (2022). Wege der Kooperation im Kontext inklusiver Bildung. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt. doi: 10.35468/5958

Werning, R. & Arndt, A.-K. (Hrsg.). (2013). Inklusion: Kooperation und Unterricht entwickeln. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

 

Veröffentlicht: 2024-01-10

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