Herausforderungen inklusiver Bildung in Kita-Teams – Konzipierung eines individualisierten Curriculums für Weiterbildung und Prozessbegleitung

Challenges of inclusive education in early education and care – designing an individual curriculum for further education and team support

Autor/innen

  • Timm Albers Universität Paderborn
  • Dörte Weltzien Evangelische Hochschule Freiburg
  • Caroline Ali-Tani Universität Paderborn
  • Sabrina Döther Evangelische Hochschule Freiburg
  • Sarah Aileen Söhnen Evangelische Hochschule Freiburg
  • Nadja Verhoeven Evangelische Hochschule Freiburg

DOI:

https://doi.org/10.21248/qfi.44

Schlagworte/Keywords

Inklusion, Curriculum, Weiterbildung, Kindertageseinrichtung, Qualitätsentwicklung, Teambegleitung, inclusion, further education, day care center, quality improvement, team support

Zusammenfassung

In dem Projekt InkluKiT (2017-2020) wurde ein empirisch begründetes, erprobtes und evaluiertes Curriculum für die Weiterbildung von Kindertageseinrichtungen entwickelt. Es soll die Lücke schließen zwischen dem Fachdiskurs über den Erwerb inklusionsbezogener Kompetenzen einerseits und anwendungsbezogenen Praxishandbüchern andererseits. In enger Zusammenarbeit mit der Fachpraxis wurden modular aufgebaute, kompetenzorientierte Fortbildungsmaßnahmen für Kita-Teams entwickelt, durchgeführt und umfangreich evaluiert. Die Maßnahmen folgen einer Systematik, die den Stand inklusiver Praxis und relevante Rahmenbedingungen vor Ort einschließen. Berücksichtigt wurden neben den pädagogischen, (fach-)didaktischen und diagnostischen Qualifikationen im Team auch das berufliche Erleben und die Interaktionsgestaltung der Fachkräfte. In dem Beitrag wird – auf der Basis eines breiten Inklusionsverständnisses und einer konsequent kompetenzorientierten Sicht auf Teamentwicklungsprozesse – die Systematik des InkluKiT Curriculums und seine Anwendungsmöglichkeiten vorgestellt.

Abstract

In the project “InkluKiT” (2017-2020) an empirically based, tested and evaluated curriculum for further education of EEC centres was developed. It aims to close the gap between the professional debate on the acquisition of inclusive skills on the one hand and the application-oriented practical manuals on the other hand. The modular, competence-oriented activities for further education of EEC teams were developed, carried out and evaluated in close cooperation with specialised, professional practice. The curriculum follows a scheme that includes the status of inclusive practices as well as the relevant framework conditions in the institutions. It further takes into account the team’s professional experience and interaction design additionally to their educational, didactic and diagnostic skills. The article presents - on the basis of a broad understanding of inclusion and a consistently competence-oriented view of team development processes - the systematics of the InkluKiT curriculum and its possible applications.

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Veröffentlicht

2020-12-08

Einleitung

Inklusive Pädagogik und die Umsetzung entsprechender Konzepte durch qualifizierte pädagogische Fachkräfte sind seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland im Jahre 2009 auch in Kindertageseinrichtungen eine bindende Verpflichtung. Demgegenüber stellt sich die Praxis in Deutschland sehr heterogen dar: In einigen Bundesländern gelten integrativ arbeitende Einrichtungen als Standard, in anderen bestehen vielfältige Formen von Sondereinrichtungen. Ebenso heterogen sind bildungspolitische Vorgaben und Qualifizierungsstrategien (Albers, 2011; Heimlich, 2013). Vielfältig sind auch Konzepte und Praxen der Verwirklichung inklusiver Pädagogik: Teilweise werden Fachkräfte für Inklusion im Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) weitergebildet, teilweise werden externe Fachkräfte zeitweise für die Begleitung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen hinzugezogen. In Ausnahmefällen finden Teamfortbildungen zur Realisierung inklusiver Pädagogik statt (DJI/WiFF, 2013). Heterogen ist auch die entsprechende Praxis in der Weiterbildung und der Ausbildung an Fachschulen/-akademien bzw. Hochschulen (Albers, 2011; Breitbart, 2011; Seitz, Finnern, Korff & Thim, 2012). [1]

Für eine fundierte Aus- und Weiterbildung im Themenbereich der Inklusion ist beides notwendig, nämlich Wissen um Begründungszusammenhänge zu vertiefen und um gleichzeitig eine anthropologische Grundhaltung zu entwickeln, die den Menschen in einem ganzheitlichen Grundverständnis als wertvolles, verletzliches Individuum anerkennt und die Vielfalt der Menschen als Chance für die Gesellschaft begreift. Die Auseinandersetzung mit Inklusion ist immer auch eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst und der biographischen Gewordenheit. Insofern sind methodische Zugänge erforderlich, die den Blick sowohl auf die Anderen als auch auf das eigene Ich lenken. Inklusionsverständnis und ‑verhalten sind eingebettet in die jeweiligen Verhältnisse und entwickeln sich aus gegebenen Systemen heraus; insofern ist es konsequent, Inklusionskompetenzen innerhalb einer Institution als Teamaufgabe zu verstehen und anzugehen. [2]

Aus diesen Überlegungen heraus wurde das Verbundprojekt Inklusionskompetenz in Kita-Teams: Entwicklung, Erprobung und empirische Absicherung eines Curriculums für die Weiterbildung von Kita-Teams für die pädagogische Arbeit im Kontext von Inklusion (InkluKiT)1 (Albers & Weltzien, 2016) innerhalb der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung 2016 ausgeschriebenen Förderrichtlinie Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte für inklusive Bildung konzipiert. Das Projekt setzt deutlich an der kollektiven Kompetenz eines Teams und seiner Weiterentwicklung an und wurde in enger Zusammenarbeit mit Praxiseinrichtungen entwickelt. Auf der Grundlage eines Kriterienkatalogs für gute Fachpraxis (Albers et al., in Vorb) wurden modular aufgebaute Teamentwicklungsmaßnahmen durchgeführt, die sich unter anderem an den pädagogischen, (fach-)didaktischen und diagnostischen Qualifikationen im Team, dem beruflichen Erleben und der Gestaltung von Beziehung und Interaktion im Alltag orientieren. An dem Projekt nahmen zwölf Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg teil. Das Vorhaben wurde umfangreich wissenschaftlich begleitet, so dass Veränderungsprozesse durch die Implementierung des Curriculums im Prä-Post-Vergleich erfasst werden konnten (Weltzien et al., in Vorb.). [3]

Weiterbildungsmaßnahmen müssen sich an ihrer Wirksamkeit messen lassen. Nur wenn sich Effekte in der täglichen Praxis zeigen, die auf vertieftes Wissen und Können sowie erweiterte Perspektiven und veränderte Haltungen zurückzuführen sind, können die eingesetzten Ressourcen gerechtfertigt werden. Daher sind Instrumente zur Evaluation der Prozesse (formative Evaluation) und der abschließenden Bewertung von Fortbildungsphasen (summative Evaluation) erforderlich. In dem Projekt InkluKiT wurden daher – im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts – anwendungstaugliche Evaluationsinstrumente entwickelt und erprobt, die als Ausgangspunkt eines Weiterbildungsprozesses oder im Rahmen der Qualitätsentwicklung zur systematischen Evaluation und (Selbst-)Reflexion der Inklusionskompetenzen in Kita-Teams genutzt werden können. [4]

In dem vorliegenden Beitrag wird zunächst ein Überblick über die bestehende Angebotsvielfalt in inklusionsbezogenen Aus-, Fort- oder Weiterbildungsmaßnahmen gegeben. Anschließend wird – auf der Basis eines breiten Inklusionsverständnisses und einer konsequent kompetenzorientierten Sicht auf Teamentwicklungsprozesse – die Systematik des InkluKiT Curriculums und seine Anwendungsmöglichkeiten vorgestellt. Abschließend erfolgen eine Bilanzierung der bisherigen Praxisanwendung und ein Ausblick. [5]

Angebote der Aus-, Fort- oder Weiterbildung – Ein Überblick

Frühpädagogische Angebote sind grundsätzlich darauf ausgerichtet „Passungen zwischen den heterogenen Lebenslagen von jungen Kindern und deren Familien sowie den Angeboten für Bildung, Betreuung und Erziehung der Kinder herzustellen“ (Sulzer & Wagner, 2011, S. 8). Konsequenzen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung im Kontext von Inklusion wurden lange Zeit jedoch nur vereinzelt formuliert. So existiert an der Fachhochschule Emden/Leer zwar bereits seit 2004 ein Studiengang mit dem Profil „Inklusive Frühpädagogik“, die Anforderungen an frühpädagogische Fachkräfte wurden bundesweit jedoch erst im Anschluss an die Behindertenrechtskonvention in Hinweisen zur Weiterbildung (Albers & Lichtblau, 2014; Prengel, 2014; Sulzer & Wagner, 2011) der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte des Deutschen Jugendinstituts expliziert. Im Kontext der Weiterbildungsinitiative wurden kompetenzorientierte Qualifizierungen entwickelt, die jeweils eine Heterogenitätsdimension, wie z. B. Behinderung, kulturelle Vielfalt oder Armut fokussieren (Überblick: www.weiterbildungsinitiative.de). Mit dem Nationalen Kriterienkatalog für die Pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder (NKK) (Tietze & Viernickel, 2016) liegt zudem ein umfassendes Instrument zur Erfassung, Sicherung und Weiterentwicklung von Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder vor. Die Neubearbeitung des NKK formuliert im Qualitätsbereich „Individualität, Vielfalt, Gemeinsamkeit“ Kriterien zu den Bereichen „Räumliche Bedingungen, Fachkraft-Kind-Interaktionen, Planung/Grundlagen und Orientierung, Zusammenarbeit mit Familien, Vielfalt und Nutzung von Material, Individualisierung, sowie Partizipation“. [6]

Viernickel, Nentwig-Gesemann, Harms, Richter & Schwarz (2011) legten einen Orientierungsrahmen für die Ausbildung von frühpädagogischen Fachkräften vor, der den Gedanken von Inklusion in den Vordergrund stellt und für den Bereich der Arbeit mit Kindern bis Drei konkretisiert. Die Autor*innen stellen heraus, „dass bereits ab dem ersten Lebensjahr Kinder mit Behinderungen barrierefreie Zugänge zu frühpädagogischen Institutionen erhalten müssen“ (Viernickel et al., 2011, S. 23). Inklusion solle daher „selbstverständlicher Bestandteil aller sozialwissenschaftlichen Ausbildungs- und Studiengänge sein“. Der Orientierungsrahmen formuliert in dem ersten von zehn Bausteinen mit dem Titel Professionelle Haltung: selbstreflexive und forschende Haltung Kernkompetenzen, die sich als Querschnittsaufgabe durch alle weiteren Bausteine ziehen. Unter diese grundlegenden Kompetenzen fällt neben der Ausbildung von Empathie und Feinfühligkeit sowie einer ressourcenorientierten Haltung der frühpädagogischen Fachkräfte auch die Wertschätzung von Diversität. Durch die konsequente Betonung von inklusiver Pädagogik als Querschnittthema für alle Fachkräfte stellt das hier angedeutete Gesamtkonzept der curricularen Bausteine einen Paradigmenwechsel für die curriculare Strukturierung von Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Frühpädagogik dar. [7]

Für den Bereich der Ausbildung an Fachschulen und Berufsakademien arbeitet Breitbart (2011) eine Übersicht heraus, in der die Rahmenpläne der Länder im Hinblick auf die Bedeutung des Themas Inklusion für die Ausbildung frühpädagogischer Fachkräfte analysiert werden. Mittlerweile widmen die meisten Curricula Integration/Inklusion ein eigenständiges Lernfeld, teilweise wird dies jedoch unverbindlichen Wahlpflichtbereichen zugeordnet. [8]

In einer Analyse der frühpädagogischen Studiengänge (Albers, 2011) wird deutlich, dass die meisten frühpädagogischen Studiengänge innerhalb ihrer Modulstruktur Bezug zu aktuellen Fragestellungen von Inklusion und Diversität nehmen. Exemplarisch für diese Entwicklung wurden die Modulkataloge von zehn Studiengängen einer Feinanalyse unterzogen. Einige dieser Studiengänge können als modellhaft in ihrer Umsetzung der in der theoretischen Fundierung und curricularen Implementierung von inklusiver Bildung bezeichnet werden, da sowohl der von Prengel (2014) formulierte Anspruch an eine inklusive Frühpädagogik erfüllt als auch die Einbettung aktueller Rahmenempfehlungen unter Berücksichtigung von Inklusion und Vielfalt als übergreifende Aufgabe der Ausbildung (Viernickel et al., 2011) umgesetzt wird. Inklusion wird hier nicht nur als ein Modul verstanden, das während der Ausbildung belegt werden muss, sondern bestimmt die inhaltliche Ausrichtung des gesamten Studiengangs. Die curriculare Ausrichtung vieler frühpädagogischer Studiengänge kann auf der Ebene der Hochschulen als ein Schritt auf dem Weg zu dem in der Behindertenrechtskonvention geforderten inklusiven Bildungssystem verstanden werden. Platte & Schultz (2011, S. 245) stellen in diesem Zusammenhang Inklusion auch als Teil von Hochschulentwicklung heraus: „Hochschulen als Institutionen der akademischen Aus- und Weiterbildung sind vor diesem Hintergrund mehrfach gefordert, denn Inklusion kann als Konzept nicht nur theoretisch vermittelt, sondern muss als Bewusstseinshaltung erlebt werden.“ [9]

Inklusion, Kompetenzen, Inklusionskompetenzen – Begriffliche Abgrenzungen

Inklusion – Kernelemente und Diskurse

Inklusion ist systemtheoretisch nach Luhmann (1994) der direkte Gegensatz von Exklusion (Biewer & Schütz, 2016). Im pädagogischen Kontext wurde der Begriff inclusion erstmals Ende der 1980er Jahre in Nordamerika verwendet und zielte darauf ab, dass Schüler*innen mit und ohne Behinderung (special needs) gemeinsam beschult werden – darin enthalten war die Notwendigkeit einer Veränderung der Schulstrukturen. Erstmals wurde postuliert, dass Heterogenität eine Ressource darstellt und – sofern die Systeme sich darauf einlassen – nicht als Schwierigkeit für Lernprozesse zu gelten hat. Die weltweite Verbreitung des Begriffs inclusion wird auf die Salamanca-Erklärung der UNESCO (1994) zurückgeführt und fand ab 2000 als Lehnwort Eingang in den deutschsprachigen Raum (Biewer & Schütz, 2016). [10]

Inklusion kann verstanden werden als zwei grundlegende, wertebezogene und gesellschaftlich relevante Bedingungen des Zusammenlebens: Anerkennung von Vielfalt und aktives Eintreten gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Wagner (2013, S. 20) definiert Inklusion als „ein gesellschaftliches und pädagogisches Modell, das auf bestimmten Werten beruht: der Anerkennung der Besonderheit und Mehrfachzugehörigkeit von Individuen, der Anerkennung dessen, dass bestimmte Gruppen eher gefährdet sind, Barrieren zu erfahren als andere, und dass es daher auch in pädagogischen Einrichtungen Aufmerksamkeit für Teilhabebarrieren geben muss“. Damit sich Kinder in ihrer Verschiedenheit entfalten können, müssen soziale Vielfaltsmerkmale ebenso erkannt werden wie Tendenzen von Ausgrenzung und Ungleichbehandlung. [11]

Im Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung gibt es ähnlich wie im Schulbereich Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Inklusion als gesellschaftlichem Anspruch. Norwich (2008) benennt drei Dilemmata, die auch auf den Kita-Bereich zutreffen dürften: [12]

  1. Das identification dilemma beschreibt die Schwierigkeit, Problemlagen zu identifizieren und begrifflich zu fassen, wenn auf Etikettierungen und negativ konnotierte Klassifizierungen verzichtet werden soll.

  2. Das curriculum dilemma umfasst die Herausforderung, einerseits dieselben Bildungsinhalte für alle Kinder im Sinne der Chancengerechtigkeit zu fordern, dabei aber die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Anschlussmöglichkeiten der Kinder berücksichtigen zu müssen.

  3. Das location dilemma weist auf die Notwendigkeit hin, dass eine bloße Öffnung regulärer Einrichtungen keine Inklusion darstellt, sondern im Hinblick auf die gleichberechtigte Teilnahme und Einbindung aller Kinder vielfältige Barrieren (nicht nur im räumlichen Sinne) vorhanden sind und identifiziert werden müssen. [13]

Inklusion in Abgrenzung zu Integration: Die systemische Perspektive

In der internationalen Forschungsliteratur wird Inklusion häufig unter Rückgriff auf die bioökologische Systemtheorie von Bronfenbrenner (1979) diskutiert (Odom et al., 1996). Inklusion stellt demnach einen Prozess dar, der sich auf mehreren Ebenen vollzieht, wie auch Heimlich (2013, S. 7) dies für die frühpädagogische Praxis in Deutschland beschreibt: [14]

„Wenn die bisherige Integrationsentwicklung in Kindertageseinrichtungen im Wesentlichen die Integrationsfähigkeit der Kinder fokussiert hat, so steht der Entwicklungsprozess zur inklusiven Kindertageseinrichtung vor der Aufgabe, alle Ebenen und alle Beteiligten in der Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern mit Behinderung im Sinne einer ökologischen Betrachtungsweise einzubeziehen“.

[15]

Unter dem Leitbild von Integration ist es nach Heimlich (2013, S. 118) nicht gelungen, das System als Ganzes zu verändern, vielmehr stelle Integration eine individuumsbezogene Maßnahme mit dem Ziel dar, „die Wiederherstellung des Ganzen“ zu erreichen. Von daher impliziert Integration von der Wortbedeutung her eine (vorherige) Separation, wobei sich zwei Ansätze unterscheiden lassen: Das „Schonraumkonzept“ bedeutet, dass Integration im Sinne einer sozialen Teilhabe zwar als Ziel formuliert wird, der Weg aber über eine Separation beschritten wird (bspw. über sonderpädagogische Fördereinrichtungen oder ‑schulen). Dem wird das sog. „Erfahrungsraumkonzept“ gegenübergestellt, bei dem eine direkte Integration in das System – ggf. mit entsprechenden Fördermaßnahmen wie Integrationshilfen – angestrebt wird (Heimlich, 2013, S. 121). [16]

Inklusion ist als Prozess zu verstehen: Institutionelle Bedingungen müssen sich verändern, um die Beteiligungsmöglichkeiten zu erhöhen, es muss aber auch das Bewusstsein bei allen Beteiligten wachsen, wo Benachteiligungen im Kita-Alltag versteckt sind. Dies ist ein fortwährender Auseinandersetzungsprozess, der sinnvollerweise mit anderen gemeinsam gestaltet wird. Denn nur in dem Austausch von Perspektiven – im Team, mit Eltern, mit externen Fachpersonen und in Netzwerken – kann das eigene Normalitätsverständnis in Relation zu anderen Normalitätsverständnissen gesetzt und damit relativiert werden. Sich als Einrichtung auf den Weg hin zu einer inklusiven Pädagogik zu machen, bedeutet insofern, die fachlichen Kompetenzen im Team systematisch in den Blick zu nehmen, vor dem Hintergrund der oben genannten Grundbedingungen – Anerkennung von Vielfalt und Eintreten gegen Diskriminierung – zu überprüfen und auf die Ziele hin orientiert weiterzuentwickeln. [17]

Inklusive pädagogische Arbeit mit Kindern und Familien zeigt sich letztendlich in der Umsetzung, also wie Strukturen und Abläufe, Räume und Gruppenkonzepte, Interaktionen zu Kindern und zwischen Kindern gestaltet und in welcher Art und Weise mit Eltern zusammengearbeitet wird. Neben der Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und Normen sind hierfür fachlich begründete und wertebezogene Handlungskompetenzen notwendig. [18]

Allgemeine pädagogische Kompetenzen und Inklusionskompetenzen

Eine inklusiv ausgerichtete pädagogische Praxis unterscheidet sich nicht grundlegend von Ansätzen der Qualitätsentwicklung, wie sie seit nunmehr 20 Jahren für den Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung postuliert werden (Anders, 2012; Fröhlich-Gildhoff, Nentwig-Gesemann, Pietsch, Köhler & Koch, 2014; Fröhlich-Gildhoff, Weltzien, Kirstein, Pietsch, & Rauh, 2014; Robert Bosch Stiftung, 2011). Das allgemeine Kompetenzmodell frühpädagogischer Fachkräfte (Fröhlich-Gildhoff, Nentwig-Gesemann et al., 2014) geht davon aus, dass sich Kompetenzen in der Performanz, also dem konkreten Handeln, im Alltag zeigen. Die Grundlage für Handlungskompetenzen besteht aus Wissens- und Könnensbeständen, die wiederum in fachspezifisches, theoretisches und reflektiertes (Erfahrungs-)Wissen, analytische Fähigkeiten (Situationswahrnehmung und -analyse), methodische Fähigkeiten (Handlungspotenziale) sowie die Motivation zum Handeln ausdifferenziert werden können. [19]

Das Handeln in einer konkreten Situation wird grundlegend aber auch von der Haltung (Habitus) beeinflusst, also von handlungsleitenden Orientierungen und Einstellungen (Nentwig-Gesemann, Fröhlich-Gildhoff, Harms & Richter, 2011). Dieses, im Feld der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung vielfach rezipierte, allgemeine Kompetenzmodell dient in dem Projekt InkluKiT als grundlegende Orientierung für die Konzipierung und Anwendung der Fortbildungsmodule. Inklusionsbezogene Handlungskompetenzen sind dabei nicht als ´besondere´ oder ´erweiterte´ pädagogische Handlungskompetenzen zu verstehen, vielmehr werden „Vielfalt und Inklusion“ als systematische Bezugspunkte einer kritisch-reflexiven Auseinandersetzung mit den einzelnen Kompetenzfacetten „Haltung“, „Wissen“ und „Handeln“ gesetzt. In Bezug auf Inklusion ist beispielsweise entscheidend, ob Vielfalt als Ressource oder eher als Belastung empfunden wird und welche persönlichen Einstellungen Menschen gegenüber Heterogenität haben. Diese müssen keineswegs explizit sein, also von den Fachkräften selbst so benannt werden, sondern liegen oftmals in impliziten, handlungsleitenden Orientierungen verborgen, die aber in der Performanz, also beispielsweise in der Gestaltung von Beziehung und Interaktion sichtbar werden (Weltzien et al., 2017; Weltzien, Bücklein & Huber-Kebbe, 2018). So zeigen sich biographisch-geprägte Vorurteile und Stereotypen gegenüber Geschlecht, Herkunft, Religion, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, sozio-ökonomischem Status, Familienkultur, Aufenthaltsstatus, Migrations- oder Fluchtgeschichte eher als blinde Flecken, wenn die über Erziehung vermittelte Haltung der eigenen Elterngeneration unreflektiert übernommen wird (z. B. in Bezug auf die Behandlung von geschlechtsuntypischen Verhaltensweisen, die als merkwürdig bewertet werden). [20]

Eine auf Inklusion ausgerichtete Haltung zeigt sich im Rahmen einer systematischen Qualitätsentwicklung daran, dass alle pädagogischen Strukturen und Abläufe daraufhin überprüft werden, ob sie den unterschiedlichen Lebenslagen und Bedürfnissen der Kinder gerecht werden und wie mögliche Teilhabebarrieren abgebaut werden können. Es geht also bei inklusiver Pädagogik weder darum, alle Kinder gleich zu behandeln – weil damit die Gefahr besteht, vorhandene Ungleichheitsverhältnisse zu verstärken – noch darum, ausdrückliche Sonderbehandlungen (bspw. dauerhaft homogene Gruppen nach Heterogenitätsmerkmalen) zu praktizieren, weil dies die Sonderposition von Kindern mit bestimmten Merkmalen verstärken würde. Inklusion im frühkindlichen Bereich wird als vom Kind ausgehend betrachtet: Es werden Unterstützung und besondere Rechte gewährt, damit Teilhabe und soziale Einbindung gelingt und Ausgrenzung verhindert wird. [21]

Systematik des Curriculums InkluKiT

Das Curriculum InkluKiT verbindet die normativ formulierten Anforderungen an Inklusion mit der empirischen Wirklichkeit, wie sie sich in der konkreten Alltagsperformanz von Kita-Teams zeigt. Auf einer inklusions- und bildungstheoretischen Grundlage wurden Kompetenzen für gelingende pädagogische Praxis auf der Fachkraft- und Teamebene beschrieben und in ein Weiterbildungskonzept für Kita-Teams (Curriculum) eingebracht, das durch das Ineinandergreifen von systematischen Analysen der Bedingungen und (Fortbildungs-)Bedarfe, Rückmelde- und Entscheidungsphasen sowie prozessbegleitenden Fortbildungsformaten gekennzeichnet ist. Die einzelnen Phasen des insgesamt dreijährigen Praxisforschungsprojekts veranschaulicht Abbildung 1. [22]

Ausgangspunkt des Zusammenwirkens von frühpädagogischer Praxis, Teamfortbildung und wissenschaftlicher Begleitung war eine Baseline-Erhebung zum Ist-Stand (1) in den Einrichtungen. In Form von zeitnahen Rückmeldungen (2) an die beteiligten Leitungen und Teams wurden erste Impulse über Stärken/Ressourcen in den Teams aber auch Weiterbildungsbedarfe gegeben. Mit Hilfe eines Fragekatalogs zur Selbsteinschätzung über die Weiterbildungsmodule/-themen als Entscheidungshilfe (3), mit dem sich Leitung und Team auseinandersetzten, wurde in einem Beratungsgespräch durch die Prozessbegleitung (4) eine Entscheidung über die Modulwahl innerhalb des Curriculums über einen Zeitraum von 15 Monaten getroffen. Diese vorbereitende Prozessbegleitung (5) wurde bilanziert und diente während der InkluKiT-Fortbildungen (6) der Verlaufskontrolle bzw. der Nachsteuerung durch ergänzende Angebote (7), beispielsweise Vernetzungsaktivitäten, zusätzliche Angebote an Materialien/Bilderbücher oder Methoden (z. B. Videographie). Am Ende der InkluKiT-Fortbildungen, die im Rahmen der Projektlaufzeit als drei ganztägige Inhouse-Formate sowie zusätzliche prozessbegleitende Impulse auf Teamebene (Teamsitzungen) konzipiert waren, erfolgte eine Bilanzierung seitens der beteiligten Leitungen/Teams (8). Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung wurde analog zur Baseline-Erhebung umfangreiche Evaluationen (9) zur Bewertung der Projektaktivitäten und -wirkungen durchgeführt. Im Hinblick auf die Qualitätsentwicklung relevante Ergebnisse wurden wiederum an die Teams zurückgemeldet (10) mit dem Ziel, die zukünftige Fortbildungsplanung entsprechend danach auszurichten. [23]

In der Systematik wird der Verlauf der einzelnen Phasen (1) bis (10) – aus dem vorherigen Absatz – in einer zeitlichen Abfolge dargestellt. Die Nummerierung der Phasen entspricht dem zeitlichen Ablauf im Projekt.
Abbildung 1: Systematik des Curriculums InkluKiT

Unter Berücksichtigung der allgemeinen Kompetenzen, die für eine pädagogische Arbeit mit Kindern erforderlich sind und den spezifischen Anforderungen an das inklusiv ausgerichtete Praxishandeln, wie es im Projekt InkluKiT beschrieben wurde, wurde ein modular aufgebautes Curriculum mit drei Schwerpunktbereichen und insgesamt 13 Themenfeldern entwickelt, die als kompetenzorientierte Inhouse-Fortbildungen auf Teamebene umgesetzt wurden (vgl. Abbildung 2). [24]

Das Curriculum teilt sich in die drei Schwerpunktbereiche I Pädagogik der Vielfalt entwickeln, II Vorurteilsbewusst denken und handeln – Aktiv werden gegen Diskriminierung und III Einen von Partizipation geprägten Alltag gestalten. Auf diese drei Schwerpunktbereiche teilen sich die dreizehn Themenfelder mit jeweils drei bis sechs Themen auf. Diese Themen werden für die Fortbildungen angeboten: 
		I.1 Deine, meine, unsere Kultur? 
		I.2 Was kennzeichnet eine armutssensible Pädagogik? 
		I.3 Spiel und Vielfalt – Vielfalt im Spiel 
		I.4 Rosa oder blau? Gendersensible Pädagogik 
		I.5 Was ist „normal“? 
		I.6 Viele Kinder – viele Familien. Offen für alle? 
		II.7 Auf den Umgang kommt es an: Der Anti-Bias-Ansatz 
		II.8 Dazu gehören: Wie kann das „Wir-Gefühl“ von Kindern gestärkt werden? 
		II.9 Sprachfallen erkennen 
		III.10 Die Perspektive der Kinder im Mittelpunkt 
		III.11 Wie lassen sich Strukturen, Regeln und Grenzen mit Partizipation zusammenbringen? 
		III.12 „Das verstehst Du noch nicht.“ Machtstrukturen und Adultismus 
		III.13 „Der stört…“ Konflikte gemeinsam lösen
Abbildung 2: Aufbau des Curriculums InkluKiT – Schwerpunktbereiche und Themenfelder

Neben der thematisch umfassenden Konzeption des Curriculums, aus denen die Einrichtungen jeweils Module in verschiedener Kombination entsprechend ihrer Vorkenntnisse, Ziele und Bedarfe wählen konnten, wurden in dem InkluKiT-Curriculum drei Vertiefungsstufen formuliert, die dem Erfahrungs- bzw. Kompetenzniveau hinsichtlich der ausgewählten Module entsprechen sollten. Diese Vertiefungsstufen beinhalten jeweils unterschiedliche Impulse zu Wissen, Können und Handeln im pädagogischen Alltag. Eine Übersicht über die Ausdifferenzierung in drei Vertiefungsstufen, bezogen auf die drei Schwerpunktbereiche, gibt Tabelle 1. [25]

Die grundsätzliche Logik einer Ausdifferenzierung nach Vertiefungsstufen soll abschließend beispielhaft anhand des Modus „Deine, meine, unsere Kultur?“ erläutert werden: In der Grundstufe erwerben die Teilnehmer*innen ein vertieftes Wissen über kulturelle Einflüsse und nehmen eine aufgeschlossene Haltung gegenüber der Vielfalt von Familienkulturen ein. Zudem erweitern sie ihre pädagogischen Kompetenzen im Sinne einer kultursensitiven Pädagogik, indem ´kulturelle Brillen´ und kulturell-bedingte Zuschreibungen systematisch reflektiert werden. Für die Zusammenarbeit mit Eltern werden Möglichkeiten erarbeitet, wie die Familienkulturen im Kita-Alltag sichtbarer werden. Auf der Teamebene werden anhand von systematischer Beobachtung, Analyse und Reflexion Wege erarbeitet, die zu einer größeren Kultursensibilität im pädagogischen Alltag führen. [26]

In der Vertiefungsstufe I beschäftigen sich die Teams mit aktuellen Forschungsergebnissen zu kulturell geprägten Entwicklungs- und Sozialisationsbesonderheiten. Sie erwerben Wissen über Diskriminierungstheorien und überprüfen die Qualitätsstandards für ihre pädagogische Arbeit unter Berücksichtigung kultursensitiver Aspekte. Sie implementieren Maßnahmen im Hinblick einer Ausdifferenzierung ihrer Pädagogik der Vielfalt auf der Ebene der Kinder und Familien. Auf der Teamebene werden Vereinbarungen zur Sicherung der Nachhaltigkeit getroffen. Für die Anleitung von Auszubildenden/Praktikant*innen werden wesentliche Aspekte der kultursensitiven Pädagogik festgehalten. Im Hinblick auf eine stärker kulturell ausgerichtete Vernetzung in Sozialraum werden Projekte des gegenseitigen Kennenlernens und Miteinanders entworfen. Auch werden einrichtungsübergreifend (Trägerebene) Möglichkeiten/Bedarfe einer auf kulturelle Vielfalt ausgerichtete Angebote formuliert. [27]

Tabelle 1: Kompetenzbeschreibungen und didaktisches Konzept der InkluKiT Fortbildungen
Niveau Kompetenzfacetten Teamentwicklung
Haltung Wissen Handeln
I. Pädagogik der Vielfalt entwickeln
Grund-lagen Grundsätzliche Offenheit für Unterschiedlichkeit, auch aufgrund eigener Fremdheitserfahrungen und Anerkennung von Vielfalt als Ressource Kennen des grundlegenden Inklusionsgedankens und von Vielfaltsdimensionen Bewusst inklusiv ausgerichtetes Handeln bei einzelnen Kindern und Familien Auseinandersetzung mit Vielfaltsthemen im Team sowie in Fallbesprechungen; Thematisierung von Vielfalt als Ressource im Hinblick auf Familien
Vertie-fung I Bereitschaft zu systematischer Selbstreflexion bei Herausforderungen (z. B. herausforderndes Verhalten) Vertieftes Wissen zu Vielfaltsdimensionen und Intersektionalität Systematisches, inklusiv ausgerichtetes Handeln; Initiierung von konzeptionellen Veränderungen Berücksichtigung von Vielfaltsdimensionen bei konzeptionellen Veränderungen; Aufbau von Netzwerkaktivitäten
Vertie-fung II Individualität in Unterschiedlichkeit als grundlegende Denk- und Handlungsstruktur (konzeptionell /überindividuell) Spezifische Fachkenntnisse von Vielfaltsdimensionen und entsprechender Rahmenbedingungen und Handlungskonzepte Auf spezifisches Wissen und Können basierendes alltägliches Handeln, das in allen pädagogischen Bereichen Vielfaltsaspekte wahrnimmt und kompetent aufgreift Konzeptionelle Verankerung der Vielfaltsdimensionen, Entwicklung und systematische Umsetzung von Qualitätsstandards, Ausrichtung aller Fortbildungsmaßnahmen an Vielfaltsdimensionen zur kontinuierlichen Kompetenzerweiterung (gelebte Konzeption)
II. Vorurteilsbewusst denken und handeln –Aktiv werden gegen Diskriminierungen
Grund-lagen Grundsätzliches Bewusstsein für Vorurteile und Bereitschaft, sich mit Formen von Ausgrenzung/ Diskriminierung auseinanderzusetzen Kennen grundlegender Erkenntnisse der Vorurteilsforschung in Bezug auf Vielfaltsaspekte Vorurteilsbewusstes, kultursensibles Handeln in der eigenen pädagogischen Beziehungs- und Interaktionsgestaltung Offener Umgang mit Vorurteilen und Stigmatisierung im Team in Bezug auf Kinder und Familien; Reflexion von eigenem Handeln und möglichen Ausgrenzungstendenzen
Vertie-fung I Bereitschaft zu systematischer Selbstreflexion in Bezug auf Vorurteile, Stereotypen, Etikettierungen sowie Dominanz und Macht in pädagogischen Situationen Vertieftes Wissen zu Gruppendynamiken, zu Ausgrenzungstendenzen in Kindergruppen und zu Machtkonstellationen im Kontext von Vielfaltsdimensionen Systematisches, vorurteilsbewusstes und diskriminierungskritisches Handeln und Entwicklung von konzeptionellen Grundlagen zur Vermeidung von Diskriminierung in der Einrichtung Vereinbarungen auf Teamebene zum Umgang mit Vorurteilen und Ausgrenzung in Zusammenarbeit mit Eltern/Familien und Kindern
Vertie-fung II Demokratisches und diskriminierungsfreies Handeln als Leitmotiv (konzeptionell /überindividuell) Spezifisches Wissen zu Menschen- und Kinderrechten, vertiefte Methodenkompetenzen zum Umgang mit Diskriminierung von Gruppen und Einzelnen Auf spezifisches Wissen und Können basierendes alltägliches Handeln, das in allen pädagogischen Bereichen einen kompetenten Umgang mit Vorurteilen gewährleistet sowie Diskriminierungstendenzen vorbeugt Konzeptionelle Verankerung einer vorurteilsbewussten und diskriminierungsfreien Pädagogik und Etablierung von Maßnahmen zum Umgang mit diskriminierungsrelevanten Vorkommnissen mit /zwischen Eltern und Kindern (Beschwerdemanagement)
III. Einen von Partizipation geprägten Alltag gestalten
Grund-lagen Grundsätzliche Bereitschaft, Kinderrechte und Partizipation als Grundlage für das pädagogische Handeln anzuerkennen Kennen der Kinder- und Beteiligungsrechte und Wissen um die Bedeutung von Beteiligung und Teilhabe für die kindliche Entwicklung Bewusst partizipatives Handeln im pädagogischen Alltag in Bezug auf kind- und familienbezogene Angebote Auseinandersetzung mit Partizipation im Kontext von Inklusion auf Teamebene und (Selbst-)Reflexion des eigenen pädagogischen Alltags im Hinblick auf Beteiligungsmöglichkeiten
Vertie-fung I Bereitschaft zu Veränderungen im Denken und Handeln auf der Grundlage von Partizipation und Dialog Vertieftes Wissen über den Zusammenhang von Partizipation und Inklusion Systematisches, inklusiv ausgerichtetes Handeln im Hinblick auf eine Förderung der Beteiligung von Kindern und ihren Familien; Initiierung veränderter Konzeptionen (Mitbestimmungsformen) Vertiefter Austausch zu Dialog und Partizipation in der Interaktions- und Beziehungsgestaltung mit Kindern und Familien; Einführung, Erprobung und Evaluation erweiterter Mitbestimmungsmöglichkeiten auf Ebene der Kinder und Familien
Vertie-fung II Partizipation als grundlegende Denk- und Handlungsstruktur (konzeptionell /überindividuell) Spezifische Fachkenntnisse von Beteiligungs-möglichkeiten in inklusiv ausgerichteten Institutionen und Aktivitäten; Wissen um spezifische Rechte, um Benachteiligungen und Hindernisse der Beteiligung abzubauen Auf spezifisches Wissen und Können basierendes partizipatives Handeln in allen pädagogischen Bereichen; systematische Beobachtung, Analyse und Reflexion von Beteiligungshemmnissen für Einzelne und Gruppen Konzeptionelle Verankerung von Partizipation, Entwicklung von Qualitätsstandards. Implementierung von Beschwerdeverfahren für Kinder und Familien (gelebte Konzeption)

In der Vertiefungsstufe II wird auf Teamebene an Möglichkeiten einer stärkeren Ausdifferenzierung von kulturell, religiös und weltanschaulich ausgerichteten Spezialkompetenzen gearbeitet und ggf. weitere (individuelle) Fortbildungsmaßnahmen erörtert. Auch werden weiterführende Konzepte zur kulturellen Vielfalt (im Sozialraum bzw. auf Teamebene) vorgestellt und auf der Grundlage der spezifischen Bedingungen der Einrichtung Übertragungsmöglichkeiten diskutiert. Potentiale und Hemmnisse einer multiprofessionellen, multikulturellen und multisprachlichen Zusammenarbeit werden methodengestützt analysiert. Hierbei werden auch Zusammenhänge von Kultur, Hierarchie und Macht reflektiert. [28]

Bilanzierung und Ausblick

Das InkluKiT-Curriculum wurde während des dreijährigen Projektzeitraums gemeinsam mit Inklusionsforscher*innen, erfahrenen Fortbildner*innen mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten sowie Praktiker*innen entwickelt. Neben dem Ziel, ein evidenzbasiertes Weiterbildungscurriculum für die Praxis zu entwickeln, stand im Hinblick auf die Team- und Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen die Frage im Mittelpunkt, wie sich ein gemeinsames inklusives Verständnis entwickeln kann, wenn gleichzeitig von einer großen Heterogenität der fachlichen Qualifikationen und biographisch-kulturell geprägten Persönlichkeiten innerhalb eines Teams auszugehen ist. [29]

Ein Ziel des Projekts InkluKiT war demnach, die für inklusive Bildung erforderlichen Kompetenzen von Fachkräften und Teams zu identifizieren und ein wissenschaftlich begleitetes Curriculum zur Förderung von Inklusionskompetenzen in Kindertageseinrichtungen zu entwickeln. Das Curriculum zielt darauf ab, die pädagogischen, (fach-)didaktischen und diagnostischen Kompetenzen von Fachkräften zu erweitern, um inklusiv ausgerichtete Lehr-Lernprozesse von Kindern zu befördern. Aus den bisherigen Evaluationsergebnissen lassen sich im Hinblick auf die Umsetzung des Curriculums einige zentrale Erkenntnisse zusammenfassen (ausführlich Weltzien et al., in Vorb.): [30]

  • Das Ziel einer inklusiven Pädagogik in Kindertageseinrichtungen ist nicht verhandelbar. Alle rechtlichen Grundlagen rücken das Recht auf Teilhabe, Bildungsgerechtigkeit und den Schutz vor Ausgrenzung und Diskriminierung ins Zentrum des Bildungsauftrags. Diese normativ ausgerichtete Vereinbarung ist die Basis zur Weiterentwicklung einer inklusiv ausgerichteten Pädagogik in einem Team.

  • Inklusion kann weder durch Gebote noch Apelle durchgesetzt werden, denn Inklusion wird geprägt durch das individuelle Erleben, als Teil der Gemeinschaft geachtet und wertgeschätzt zu werden. Daher zielt das Curriculum auf die Weiterentwicklung der interaktionsbezogenen Handlungskompetenzen der Fachkräfte ab, die sich letztendlich in der alltäglichen Gestaltung von Beziehung und Interaktion zu Kindern und ihren Familien zeigen.

  • Wenn ein inklusives Verständnis in die Kultur einer Einrichtung einmünden soll, ist es selbstverständlich, dass sich das gesamte Team mit den wesentlichen Bestimmungs- und Wirkfaktoren von Inklusion auseinandersetzen muss. Idealerweise wird der Prozess als langfristig angelegte Qualitätsentwicklungsmaßnahme verstanden, die auf die Vision hin ausgerichtet ist, eine bedürfnisgerechte und faire Bildungsinstitution für Kinder und ihre Familien zu realisieren.

  • Die Wege zu einer inklusiv ausgerichteten Einrichtung können vielfältig sein. Zwar geht es im Kern immer um die Auseinandersetzung und Weiterentwicklung der fachlichen Kompetenzen, das inklusive pädagogische Handeln wird jedoch durch persönliche (Selbst‑)Erkenntnisse in dieser Auseinandersetzung und Weiterentwicklung bestimmt. Lehr‑/Lernformate und -inhalte dürfen die Beteiligten weder über- noch unterfordern, wenn sie einen tatsächlichen Erkenntnisgewinn bringen sollen. Sie müssen vielmehr passgenau auf den durch Vielfalt geprägten Kompetenzkorridor im Team ausgerichtet sein, in dem sich die Fachkräfte in ihrer alltäglichen Zusammenarbeit begegnen.

  • Die Auseinandersetzung mit inklusiven Themen ist herausfordernd und erfordert eine Vertrauensbasis – sowohl innerhalb des Teams als auch zu Weiterbildner*innen, die die Teams begleiten. Es macht daher Sinn, eine Prozessbegleitung zur inklusiven Pädagogik als langfristige Unterstützung und nicht als ad-hoc-Maßnahme zu einem aktuellen Thema zu konzipieren. Elementar für die Prozessbegleitung ist auch eine offene Grundhaltung gegenüber den vielfältigen, teilweise überraschenden und durchaus nicht immer gradlinigen Lernprozessen in den Einrichtungen. Weiterhin wichtig ist ein hohes Maß an eigener Lernbereitschaft, unter anderem, weil eine kontinuierliche Erweiterung des eigenen fachlichen Wissens und des Methodenrepertoires – angepasst an die Prozessverläufe in den Teams – erforderlich ist.

  • Inklusives Denken und Handeln im institutionellen Kontext ist ohne die intensive Einbeziehung der vorgefundenen Strukturen, Räume, Abläufe, Normen und Regeln kaum denkbar. Diese einerseits als gegebenen Rahmen anzuerkennen, sie aber andererseits auch organisational und kulturell als veränderlich zu begreifen, macht eine wirkungsvolle Prozessbegleitung vor Ort notwendig. Die oben beschriebenen allgemeinen Dilemmata von Inklusion (identification dilemma, curriculum dilemma und location dilemma, Norwich, 2008) sind in diesem Prozess zu spezifizieren und ganz konkret handlungspraktisch anzugehen. Wenn dieses gelingt, kann von einer echten Unterstützung der Teams ausgegangen werden und nicht von einer (weiteren), durch Fortbilder*innen ins Team getragene und durch gesellschaftliche Veränderungen erzeugte Erwartung an das Leistbare von pädagogischen Teams in Kindertageseinrichtungen. [31]

Das Curriculum stellt insofern ein besonderes Instrument dar, als dass es nicht nur reine Fortbildungen mit Zielen, Kompetenzen, Inhalten und Methoden beschreibt, sondern es sich in der Logik von Inklusion als einem langfristig angelegten Qualitätsentwicklungsprozess von Systemen bewegt. Ein solcher Prozess beginnt mit einer differenzierten Ist-Stands-Analyse auf Teamebene, beinhaltet Feedbackschleifen und Entscheidungshilfen zur Fortbildungsorganisation, hält ergänzende Angebote sowie Methoden zur Bilanzierung von Erreichtem bereit. [32]

Grundsätzlich richtet sich das Curriculum InkluKiT an interessierte Aus- und Weiterbildner*innen im Bereich von Inklusion in Kindertageseinrichtungen sowie an Trägervertreter*innen und Leitungskräfte, die die Weiterentwicklung der inklusionsbezogenen Handlungskompetenzen von Kita-Teams im Blick haben. Es sind vielfältige Anwendungsmöglichkeiten im Praxisbereich denkbar. Im Bereich von Kindertageseinrichtungen können auf dieser Grundlage Inhouse-Fortbildungen, aber auch Experten-/Qualitätszirkel oder auch Netzwerkaktivitäten (trägerintern/trägerübergreifend) geplant werden. Auch sind Qualifizierungsangebote für Neu-/Quer- oder Wiedereinsteiger*innen sinnvoll, wobei die Praxisanleiter*innen (z. B. für PiA-Auszubildende, Auszubildende im Anerkennungsjahr, Studierende in Praxisphasen) entsprechend geschult werden müssten. Um inklusionsbezogene Qualitätsstandards in Teams nachhaltig zu sichern, bietet die Fokussierung des Themas in Einarbeitungszeiten/Einbettung in die Konzeption etc. für neue Fachkräfte gute Möglichkeiten, in den Inklusionshabitus des Teams einzumünden. [33]

Ein Prozess in Richtung inklusiv ausgerichteter Pädagogik ist niemals abgeschlossen, weil Kinder und ihre Familien, aber auch das sozialräumliche Umfeld und einrichtungs- bzw. trägerübergreifende Veränderungen immer wieder neue Herausforderungen für eine Öffnung, Einbindung und Beteiligung mit sich bringen, die professionelle Antworten suchen. Auch ist ein Kita-Team selbst in einem ständigen Prozess der Veränderung und Weiterentwicklung, sodass jeweils Möglichkeiten der Qualitätssicherung und der Personalentwicklung zu suchen sind. Dynamischen Entwicklungen, wie sie im Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung zu konstatieren sind, wird ein systemisch ausgerichtetes Curriculum auf Teamebene mit vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten und Vertiefungsstufen eher gerecht als singuläre Fortbildungsformate (vgl. zur Wirksamkeit von Fort- und Weiterbildungen pädagogischer Fachkräfte auch Egert, Eckhardt & Fukkink, 2017). Als wesentlicher Erfolgsfaktor gilt dabei eine empiriebasierte, angepasste und langfristige Weiterbildungsplanung, die vor dem Hintergrund knapper zeitlicher und finanzielle Ressourcen im Kita-Bereich alle Beteiligten in eine Verantwortungsgemeinschaft im Sinne von Inklusion führt. [34]

InkluKiT ist ein dreijähriges BMBF-gefördertes Forschungsprojekt (2017-2020), innerhalb der Förderlinie Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte für inklusive Bildung (Förderkennzeichen: 01NV1707B). Das Projekt wird in Kooperation mit der Universität Paderborn (Prof. Dr. Timm Albers, Verbundkoordinator) und dem Zentrum für Kinder- und Jugendforschung (ZfKJ) an der Evangelischen Hochschule Freiburg (Projektleitung: Prof. Dr. Dörte Weltzien) durchgeführt.

Literatur

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Kontakt:

Dörte Weltzien, Evangelischen Hochschule Freiburg, Pädagogik der Kindheit, Bugginger Straße 38, 79114 Freiburg
E-Mail: weltzien@eh-freiburg.de

Zitation:

Albers, T., Weltzien, D., Ali-Tani, C., Döther, S., Söhnen, S.A. & Verhoeven, N. (2020). Herausforderungen inklusiver Bildung in Kita-Teams – Konzipierung eines individualisierten Curriculums für Weiterbildung und Prozessbegleitung. QfI - Qualifizierung für Inklusion, 2(3), doi:

Eingereicht:

15.05.2020