Erwachsenenpädagogische Fachlichkeit für eine inklusive allgemeine Erwachsenenbildung. Eine kooperative Mehrebenenherausforderung am Beispiel von Blindheit und Sehbeeinträchtigung

Developing educational professionalism for an inclusive adult education: a cooperative multi-level challenge in the context of blindness and visual impairment

Autor/innen

  • Sabine Lauber-Pohle Philipps-Universität Marburg
  • Wolfgang Seitter Philipps-Universität Marburg

DOI:

https://doi.org/10.21248/qfi.29

Schlagworte/Keywords

Inklusion, öffentliche Erwachsenenbildung, Professionalisierung, Organisationsentwicklung, Blindheit und Sehbehinderung, Inclusion, public adult education, professional and organizational development, educational qualification, blindness and visual impairment

Zusammenfassung

Fragen von Weiterbildungsbeteiligung – und damit Fragen von Inklusion/Exklusion in einem soziologisch-sozialstrukturellen Sinn – spielen in der Erwachsenenbildung seit jeher eine große Rolle. Inklusion unter der Perspektive von geistig-körperlicher Beeinträchtigung ist in der Erwachsenenbildungswissenschaft dagegen ein (noch) randständiges Thema. Erst seit wenigen Jahren beginnen Erwachsenenbildungseinrichtungen wie auch die Erwachsenenbildungswissenschaft, sich verstärkt mit Fragen von Inklusion auf organisationaler, professioneller und didaktischer Ebene zu befassen. Ein großes Desiderat sowohl in der wissenschaftlichen Fokussierung als auch handlungspraktischen Ausgestaltung stellt die Professionalität bzw. Qualifizierung des Personals für eine inklusive Erwachsenenbildung dar, insbesondere unter der Perspektive einer nicht isolierenden, sondern für die Gesamteinrichtung funktionalen Weise.

Der Text vertritt die These, dass gerade in der Erwachsenenbildung Fachlichkeit aus einem komplexen Zusammenspiel von makro-, meso- und mikrodidaktischen Faktoren resultiert. Die komplexe Beziehung zwischen Bedarfsanalyse, Teilnehmendengewinnung und Angebotsrealisierung verlangt in der Erwachsenenbildung eine Fachlichkeit, die in einem kooperativen Miteinander von Leitung, Planung, Kursgestaltung und administrativer Begleitung aufgespannt ist. Inklusive Fachlichkeit muss aus diesem komplexen Miteinander hervorgehen, was für die theoretische Konzeptionalisierung inklusionsorientierter Professionalitätsentwicklung von großer Bedeutung ist.

Im Folgenden wird daher der Versuch unternommen, diese inklusionsorientierte, kooperative Fachlichkeit im Rahmen öffentlicher Weiterbildung und am Beispiel von Blindheit und Sehbehinderung genauer zu bestimmen. Dazu wird zunächst in einer allgemeinen Perspektive inklusive Fachlichkeit als kooperative Gesamtleistung öffentlicher allgemeiner Erwachsenenbildung skizziert, um dann die damit verbundenen Herausforderungen am Beispiel der Adressatengruppe blinder und sehbeeinträchtigter Personen zu verdeutlichen. In dieser Perspektive zeigt sich inklusive Erwachsenenbildung als eine komplexe Bildungsdienstleistung, die professionstheoretisch als kooperative Verknüpfungsleistung im Mehrebenensystem von Erwachsenenbildung zu konzipieren ist.

Abstract

Issues of participation in continuing education – and thus issues of inclusion/exclusion in a sociological-socio-structural sense – have always played a major role in adult education. Inclusion from the perspective of mental and physical impairment are, however, (still) a marginal topic in adult education.

Only for a short period of time, adult education institutions, as well as adult education science, have begun to focus more on issues of inclusion at an organizational, professional and didactic level. A major desideratum in both the scientific focus and practical training is the qualification of the staff for an inclusive adult education, especially from the perspective of a non-isolating but functional way for the whole organization. The text argues that, especially in adult education, professionalism results from a complex interplay of macro-, meso- and micro-didactic factors. The complex relationship between needs analysis, participant acquisition, and service delivery requires a professionalism in adult education that is built on a cooperative approach of leadership, planning, course design and administrative support. Inclusive expertise in adult education must emerge from this complex coexistence, which is of great importance for the theoretical conceptualization of inclusion-oriented professional development.

The article, therefore, attempts to determine more precisely this inclusion-oriented cooperative professionalism in the context of public adult education and the example of blindness and visual impairment. To this end, we will first outline a general perspective of inclusive educational professionalism as a cooperative overall service of general adult education, to then illustrate the associated challenges and task of adaption in the context of blindness and visual impairment. In this perspective, inclusive adult education is a complex educational service, which is to be devised in profession theory as a cooperatively created link in the multi-level system of adult education.

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Veröffentlicht

2020-07-23

Einleitung

Fragen von Weiterbildungsbeteiligung, Zielgruppenerreichung, Heterogenität, Beteiligungs­selektivität, etc. – und damit Fragen von Inklusion/Exklusion in einem soziologisch-sozial­strukturellen Sinn – spielen in der Erwachsenenbildung seit jeher eine große Rolle und sind auch relativ gut erforscht (als Überblick vgl. Tippelt, Hippel, & Gebrande, 2018). In diesem Sinne erweist sich die allgemeine, teilnehmenden-orientierte Erwachsenenbildung in besonderem Maß anschlussfähig an die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention, Bildungsein­richtungen nach den Kriterien des 4A-Schemas (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, 2014; Hirschberg & Lindmeier, 2013) sowohl organisations- als auch professionsbezogen weiterzuentwickeln. Dieses betont Inklusion als umfassenden Prozess der Gestaltung von Bildungsangeboten, der folgende Faktoren berücksichtigt: Verfüg­barkeit von geeigneten Angeboten für alle Interessenten (Availability), Zugänglichkeit und Erreichbarkeit der Angebote (Accessibility), Angemessenheit hinsichtlich Niveau, Umfang und Ausstattung (Acceptability) sowie die Fähigkeit, die jeweiligen Angebote an die Bedarfe der je­weiligen Teilnehmenden anzupassen und so inklusiv zu öffnen (Adaptability). [1]

Gleichwohl ist Inklusion unter der Perspektive von geistig-körperlicher Beeinträchtigung und Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe in der Erwachsenenbildung ein (noch) randständiges Thema (Burtscher, Ditschek, Ackermann, Kil, & Kronauer, 2013; Heimlich & Behr, 2018). Zwar richtet sich insbesondere die allgemeine, öffentlich verantwortete Erwachsenenbildung – ihrem Selbstverständnis nach – an alle Bevölkerungsschichten. Faktisch werden Menschen mit Behinderung(en) jedoch kaum adressiert, zumal diese in Deutschland traditionell in spezifischen Einrichtungen der sozialen Hilfe, der betrieblichen Ausbildung oder des zweiten Arbeitsmarktes betreut werden (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014, Abschnitt H; Böhm, 2013; Brandt, 2012). [2]

Erst seit wenigen Jahren beginnen Erwachsenenbildungseinrichtungen wie auch die Er­wachsenenbildungswissenschaft, sich verstärkt mit Fragen von Inklusion auf organisationaler, professioneller und didaktischer Ebene zu befassen. Dies geschieht vornehmlich in einer theoretisch-konzeptionellen (Ackermann, 2017; Katzenbach, 2013; Küchler, 2010; Schlummer & Ackermann, 2016) oder dezidiert handlungspraktischen Perspektive (vgl. Ent-Hinderung, 2019; Galle-Bammes, 2012; Inklusive Erwachsenenbildung, 2019; Papadopoulos, 2012). Em­pirische Untersuchungen sind selten (Babilon, 2018; Schreiber-Barsch & Fawcett, 2017) und auch die unterschiedlichen Gruppen und Grade von Beeinträchtigungen werden kaum in den Blick genommen und auf ihre didaktischen Implikationen hin überprüft. [3]

Ein großes Desiderat sowohl in der wissenschaftlichen Fokussierung als auch handlungs­praktischen Ausgestaltung stellt die Professionalität bzw. Qualifizierung des Personals für eine inklusive Erwachsenenbildung dar, insbesondere unter der Perspektive einer nicht isolierenden, sondern für die Gesamteinrichtung funktionalen Weise (Döbert & Weishaupt, 2013; Hippel, 2011).1 Gerade in der Erwachsenenbildung – so die hier vertretene These – resultiert Fachlichkeit aus einem umweltsensiblen, kooperativen Zusammenspiel von makro-, meso- und mikrodidaktischen Faktoren, die zudem in den unterschiedlichen Reproduktionskontexten der Weiterbildung stark variieren (Schäffter, 1998; Schrader, 2010). Die Notwendigkeit, Teil­nehmende auf freiwilliger Basis für ein Angebot erst gewinnen zu müssen, stellt insbesondere die Einrichtungen der allgemeinen Erwachsenenbildung vor die permanente Herausforderung, eine vorgelagerte Passung zwischen unterstellter und/oder explizit formulierter Nachfrage vorzunehmen und aus dieser Passung das eigene Angebotsprofil zu gewinnen und umzu­setzen.2 Diese komplexe Beziehung zwischen Bedarfsanalyse, Teilnehmendengewinnung und Angebotsrealisierung verlangt in der Erwachsenenbildung insofern eine Fachlichkeit, die in einem kooperativen Miteinander von Leitung, Planung, Kursgestaltung und administrativer Be­gleitung sowie hoher Umweltsensibilität aufgespannt ist. Inklusive Fachlichkeit muss aus diesem komplexen Miteinander hervorgehen, was für die theoretische Konzeptionalisierung inklusionsorientierter Professionalitätsentwicklung von großer Bedeutung ist.3 [4]

Im Folgenden wird der Versuch unternommen, diese inklusionsorientierte kooperative Fachlich­keit genauer zu bestimmen. Mit Blick auf die Vielgestaltigkeit der Institutionenlandschaft von Erwachsenenbildung und der Heterogenität der Personengruppen mit Beeinträchtigungen werden zwei Einschränkungen vorgenommen: Zum einen wird der Reproduktionskontext der öffentlichen Erwachsenenbildung, konkret in der organisationalen Gestalt der Volkshoch­schulen, ausgewählt, zum anderen wird das Feld von Blindheit und Sehbeeinträchtigung als relevante Zielgruppe der Erwachsenenbildung (insbesondere mit Blick auf die Zunahme von Sehbeeinträchtigung) fokussiert, um den Adressatenbezug inklusiver Erwachsenenbildung zu konkretisieren. [5]

Dazu wird in einem ersten Schritt in einer allgemeinen Perspektive inklusive Fachlichkeit als kooperative Gesamtleistung öffentlicher allgemeiner Erwachsenenbildung skizziert (2), um dann in einem zweiten Schritt die damit verbundenen Herausforderungen an der Adressaten­gruppe blinder und sehbeeinträchtigter Menschen exemplarisch zu verdeutlichen (3). Nach einem kurzen Zwischenfazit, das inklusive Erwachsenenbildung als eine komplexe Bildungs­dienstleistung (re-)formuliert (4), werden abschließend professionstheoretische Überlegungen skizziert, die Professionalität im Mehrebenensystem von Erwachsenenbildung verorten und gerade die Verknüpfungsleistung zwischen und innerhalb der Ebenen betonen (5). [6]

Inklusive Fachlichkeit und öffentliche Erwachsenenbildung

Das Feld der allgemeinen Weiterbildung zeichnet sich durch eine große Heterogenität der An­bieterlandschaft und einen geringen Regulierungsgrad aus. Die Volkshochschulen sind dabei die größten flächendeckenden Anbieter öffentlicher Weiterbildung in Deutschland mit einem breiten inhaltlichen Angebot für alle Bevölkerungsgruppen.4 Entscheidende Parameter der konkreten volkshochschulischen Arbeit sind das (noch) weitestgehend realisierte Prinzip der Freiwilligkeit der Teilnahme und die Notwendigkeit einer finanziellen Eigenbeteiligung der Kursteilnehmenden.5 Beide Parameter stellen die Programmplanung ins Zentrum erwach­senenpädagogischer Professionalität und Fachlichkeit (Fleige, Gieseke, Hippel, Käpplinger, & Robak, 2018), da die konkreten Kursinhalte nicht vorab definiert sind, sondern in einem aufwendigen kommunikativen Planungs- und Aushandlungsprozess mit den verschiedenen Beteiligtengruppen erst hergestellt werden müssen. [7]

Das nach diesen Gesichtspunkten erstellte Programmangebot muss dann bekannt gemacht, vermarktet und – je nach trägerspezifischen Auflagen – mit Blick auf bestimmte Kosten­deckungsgrade auch wirtschaftlich umgesetzt werden. In dieser Hinsicht sind Prozesse der Vermarktung, Werbung und Akquise, der Information und Beratung, der Anmeldung und veran­staltungsbegleitenden Betreuung, der organisatorischen Begleitung und Abwicklung, etc. von eminenter fachlicher Bedeutung für das tatsächliche Zustandekommen des Kursangebots. Dies verweist auf die große Bedeutung der Professionalität administrativer Prozesse und das not­wendige Ineinandergreifen der verschiedenen Teilsegmente der Einrichtung zur pädagogischen Leistungserbringung.6 [8]

Das Angebot selbst wird schließlich von einer Vielzahl von Dozent_innen bzw. Kursleiter_innen umgesetzt, die in unterschiedlichen Varianten als Ehrenamtliche, nebenberuflich oder freibe­ruflich Tätige7 für die Einrichtung arbeiten und auf die die Volkshochschulen keinen direkten organisationalen Zugriff haben.8 Trotz dieser atypischen organisationalen Stellung sind die Dozent_innen diejenigen, die den direkten Kontakt zu den Teilnehmenden haben und die in dieser Hinsicht das „Gesicht“ der Einrichtung repräsentieren. Sie sind allerdings nur Teil einer der Kursgestaltung vor- und nachgelagerten erwachsenenpädagogischen Gesamtwert­schöpfungskette. [9]

Idealtypisch erbringen Leitung, Planungspersonal, Kursleitende und Verwaltungskräfte gemein­sam eine pädagogische Leistung, deren Fachlichkeit aus einer vierfachen – teils zeitlich nacheinander getakteten, teils überlagernden – Bezugnahme resultiert. Die pädagogische Gesamtleistung ist Ergebnis einer Passungsarbeit inhaltlicher, sozialer und raum-zeitlicher Dimensionen durch das kooperative Zusammenspiel interner Akteure, die häufig noch durch die Zusammenarbeit mit externen Partnern flankiert wird. [10]

Grafische Darstellung des zuvor beschriebenen aufwendigen kommunikativen Planungs- und Aushandlungsprozesses mit vier zyklisch wiederkehrenden Schritten: Bedarfsartikulation, Programmplanung, Beratung und Anmeldung und Kursgestaltung. Mit der Evaluation beginnt der neue Zyklus der Bedarfsartikulation. Der gesamte Prozess wird durch eine intensive Vernetzung und Kooperationsgestaltung nach außen und innen begleitet und unterstützt.
Abbildung 1: Erwachsenenpädagogische Fachlichkeit als kooperatives Zusammenspiel interner und externe Akteure (eigene Darstellung)

Mit Blick auf diese komplexe Gemengelage kooperativ ausgestalteter erwachsenen­pädagogischer Fachlichkeit sind Einrichtungen der allgemeinen Weiterbildung als übergangs- und teilhabefördernde Institutionen in ihren Angeboten und Prozessen allerdings bislang wenig inklusiv ausgerichtet. Erst in den letzten Jahren haben sich vermehrt Praxiseinrichtungen auf den Weg gemacht, ihre Angebote stärker inklusionsorientiert auszurichten und mit Ein­richtungen der Behindertenhilfe zu kooperieren. Leitend war dabei der Gesichtspunkt, nicht nur punktuell – etwa nur oder vor allem bei den Kursleitenden – anzusetzen, sondern vielmehr das kooperative Gesamtgefüge entlang der gesamten Prozesskette erwachsenenpädagogischer Leistungserbringung zu fokussieren. Die vorliegenden Erfahrungs- und Praxisberichte aus unterschiedlichen Einrichtungs- und Verbandsperspektiven9 verweisen auf genau diese simultane Bearbeitungsnotwendigkeit der verschiedenen Dimensionen und Tätigkeitsfelder – von der Bedarfsartikulation über die Programmplanung, die Ansprache, Beratung und Anmeldung bis hin zur Unterrichtsvorbereitung und -durchführung sowie Evaluation des gesamten Planungs- und Umsetzungszyklus: [11]

  • Bei der Bedarfsartikulation stehen vor allem die Artikulationsmöglichkeiten der entspre­chenden Zielgruppen im Vordergrund mit partizipativen Formen der Bedarfserschließung, insbesondere durch die Kooperation und Vernetzung mit Einrichtungen der Selbsthilfe sowie den einschlägigen (pädagogischen) Fachorganisationen der Behindertenhilfe.

  • Bei der Programmplanung sind die Denkmodelle der Planenden und die mit ihnen ver­bundenen Grade der inklusiven Zugänglichkeit zu Lernen und Bildung (Schreiber-Barsch, 2019, S. 11) von hoher Bedeutung, da sich Erwachsenenbildung immer im Modus der Antizipation10 vollzieht. Entscheidend sind hier die möglichen Inklusionsarchitekturen und Semantiken von Inklusion, die – so die Befunde einer der wenigen empirischen Studien in diesem Bereich – spezifische Formen der Angebotsgestaltung mit sich bringen und inklusives Arbeiten als Normalität, Ausnahme oder Bedrohung adressieren (Schreiber-Barsch & Fawcett, 2017, 2019). Praxisbezogene Erfahrungsberichte betonen in diesem Kontext die Bedeutsamkeit von Vorerfahrungen der Adressat_innen und damit auch die Notwendigkeit, Interessen sowie Lernniveaus und Lernziele zu benennen, die den jeweiligen Kurs ausmachen (sollen). Neben der gemeinsamen Arbeit an Themen finden auch exklusive Angebote für bestimmte Zielgruppen mit Behinderung Erwähnung, um erst einmal Zugänglichkeiten vor Ort zu schaffen (Babilon & Weiss, 2019).

  • Des Weiteren weisen die Berichte auf die Notwendigkeit hin, Prozesse der Bewerbung des Angebots, Information, Beratung und Anmeldung gut auszugestalten. Dies betrifft einerseits die geeignete Darstellung des Programms mit Elementen wie: Navigierbarkeit von Webseiten und Programmdatenbanken mit technischen Hilfsmitteln, Verwendung leichter Sprache, geeignete Schriftgrößen und -sätze, Nutzung von trägerübergreifenden Ausschreibungs- und Anmeldesystemen oder von Möglichkeiten der kooperativen Beratung und Navigation. In diesen Kontext fallen andererseits dann auch Fragen wie die Abklärung der infrastrukturellen und technischen Rahmenbedingungen, der barrierefreien Zugänglichkeiten oder der Klärung von Assistenzbedarfen (Schmidt & Neubert, 2019) und nicht zuletzt Fragen der Finanzierung und deren rechtlicher Regelung (Richter & Kohn, 2019).

  • Schließlich werden auf der Ebene der Kursgestaltung neben Formen der behinderungs­spezifischen Kursvorbereitung (didaktisches Design, Unterrichtsmaterialien, Prüfungs­formen) vielfältige Varianten inklusionsorientierter didaktischer Möglichkeiten erprobt, wie Binnendifferenzierung, variable Lerntempi oder unterschiedliche Darbietungs- und Erfas­sungsmodi der Lerngegenstände. Die Berichte verweisen in diesem Zusammenhang auf die Einbeziehung mehrerer Wahrnehmungskanäle (Hören, Sehen, Tasten, aber auch Riechen und Schmecken) bei der Vermittlung und Aneignung von Inhalten, auf spezifische didaktische Umsetzungsformate wie Lernen am gemeinsamen Gegenstand – Kochen, kreatives Gestalten, Gartenbau, Leseclubs, musikalische Ensembles – oder auf Werkstatt­formate als offene Lernsettings mit individuellem Lerntempo und eigener Zielverfolgung. Darüber hinaus finden sich zunehmend Konzepte von Teamteaching (Kricke & Reich, 2016) ebenso wie die Ausbildung und der Einsatz von Menschen mit Beeinträchtigung als Lehrende – beides Formen, um differenzierte Fachlichkeit kooperativ einzusetzen.

  • Mit der Evaluation beginnt der erneute Kreislauf, sie ist bereits Bestandteil der Bedarfsarti­kulation. Der gesamte Prozess wird durch eine durchgehende administrative Begleitung sowie durch eine konstante interne wie externe Vernetzung mit Verbänden, Fachgesell­schaften, Kooperationspartnern und der Selbsthilfe begleitet, reflektiert oder unterstützt. [12]

In einer etwas anderen Schneidung lassen sich aus den vorhandenen Erfahrungs­berichten und Studien folgende zentrale Herausforderungen bzw. Gelingensfaktoren inklusiver Erwach­senenbildung benennen: Sensibilisierung aller Beteiligten durch kontinuierliche Bearbeitung des Themas auf allen Ebenen, kooperative Bedarfserschließung, zugängliche Gestaltung des Programms, barrierefreie Informations- und Anmeldemöglichkeiten durch informierte und konstante Ansprechpartner, sozial verträgliche Preisgestaltung unter Einbeziehung von vorhan­denen Fördermöglichkeiten, barrierefreie Gestaltung von Bildungsorten, Organisation von Assistenz- und Mobilitätshilfen, professionelle Kooperation zwischen Volkshochschule und Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Selbsthilfe sowie nicht zuletzt didaktische Adaptivität und Flexibilität durch kontinuierlichen Austausch und Schulung der Mitarbeitenden. Nicht zu unterschätzen sind auch die Mitnahme und Sensibilisierung des Stammpublikums, d.h. erwachsenenpädagogische Fachlichkeit der Gesamtorganisation hat auch die Aufgabe, mit Blick auf die angestammte Klientel und mit Blick auf Menschen mit Beeinträchtigungen gleichzeitig in zwei Richtungen zu vermitteln. Insofern können auch „exklusive Angebote als Experimentierfeld“ (Babilon & Weiss, 2019, S. 15) angesehen werden, Menschen mit Behin­derung überhaupt erst in die Gebäude der Volkshochschule zu bringen, ein wechselseitiges Kennenlernen in Gang zu setzen, sie als Expert_innen für Ansprache, Planung und Umsetzung mit einzubeziehen und dadurch Anschlüsse in das Regelangebot bzw. die allmähliche Öffnung des Regelangebots zu ermöglichen. [13]

Erwachsenenpädagogische Fachlichkeit lässt sich so als tätigkeits- und positionsübergreifende Gesamtaufgabe betrachten. Die Fokussierung auf ein einzelnes Kurs- oder Programmsegment ist zu eng, vielmehr muss die Organisation immer in ihrem gesamten Prozessablauf in den Blick genommen werden. Hier wird auch die Verbindung zum eingangs erwähnten 4A-Schema deut­lich. Um ein für alle verfügbares (availability), zugängliches (accessability), angemessenes (accessability) und flexibles und anpassungsfähiges (adaptability) Programm entwickeln und dauerhaft im Regelbetrieb anbieten zu können, bedarf es der konstanten Adressierung dieser Aspekte auf allen Ebenen erwachsenenpädagogischen Handelns, sowohl des planenden und administrativen als auch des lehrenden Personals unter stetiger Einbeziehung von internen wie auch externen Kooperationen und Netzwerken.11 [14]

Blinde und sehbeeinträchtigte Menschen als Adressaten inklusiver Erwachsenen­bildung

Eine weitere zentrale Herausforderung von Erwachsenenbildung stellt die Heterogenität zwi­schen den und innerhalb der verschiedenen Zielgruppen sowie die Berücksichtigung der höchst unterschiedlichen Ausgangslagen, Bedarfe und Teilnahmebarrieren dar. Für Einrichtungen wie die Volkshochschulen kommt als zusätzliche Herausforderung hinzu, dass und wie das breite Themenspektrum und die diversen Angebotsformate der Einrichtung konkret ausgestaltet werden können – insbesondere mit Blick auf den Umstand, dass die heterogenen Adressaten­gruppen sehr unterschiedliche Bedarfe hervorbringen, die jeweils unterschiedliche Zugänglich­keitsvarianten und didaktische Designs erfordern. Im Folgenden wird beispielhaft die Personen­gruppe mit Sinnesbeeinträchtigungen – konkret blinde und sehbeeinträchtigte (ältere) Erwachsene – fokussiert, mit der zentralen Herausforderung, wie informatorische, räumliche und didaktische Barrierefreiheit und die damit verbundene notwendige Adaption der Angebote gestaltet werden können.12 [15]

Das Adressatenfeld blinder und sehbeeinträchtigter Personen zeichnet sich durch eine große Vielfältigkeit aus. Derzeit gibt es ca. 1,2 Millionen Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung in Deutschland (Bertram, 2005). Die am schnellsten wachsende Gruppe ist die der älteren Erwachsenen, die ca. 65% der Betroffenen stellt. Innerhalb dieser Gruppe sind Frauen überdurchschnittlich oft betroffen, die ebenfalls überdurchschnittlich oft an Angeboten der Volkshochschulen teilnehmen. Neuere Studien legen eine noch schnellere Entwicklung von altersbedingten Sehbeeinträchtigungen, insbesondere durch AMD,13 nahe (Korb et al., 2014). Mit der Sehbeeinträchtigung geht häufig eine Einschränkung oder der Verlust der Lesefähigkeit und informationellen Selbstbestimmung einher, was auch drastisch die Teilhabemöglichkeiten an sozialen und lernbezogenen Aktivitäten begrenzt. Entsprechend vielfältig gestalten sich die Aktivitäten im Feld der Beratung und Rehabilitation für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung im höheren Erwachsenenalter. Insbesondere die Selbsthilfe ist stark ausge­prägt und weist zusammen mit den einschlägigen Fachgesellschaften einen hohen Organisationsgrad auf (DBSV e. V., o. J.; DVBS e. V., o. J.; VBS e. V., o. J.). Ähnliche Entwick­lungen lassen sich für Hörbeeinträchtigungen finden, oftmals treten im Alter auch Hörsehbehin­derungen auf. Die Teilnehmendenschaft der Volkshochschulen unterliegt jedoch der allge­meinen demographischen Entwicklung der Gesellschaft und altert ebenfalls (Lux, 2020, S. 2; Pehl, 2005, S. 3). So lag der Anteil der Teilnehmenden über 65 Jahren 2003 bei 8,5% und 2018 bei 18,4 %, davon 5,6 % über 75 Jahre. Der Anteil der Teilnehmenden mit einer Seh- und/oder Hörbehinderung wird also zukünftig steigen. [16]

Die Teilhabe an allgemeiner Erwachsenenbildung als wesentlicher Faktor von gesellschaftlicher Teilhabe spielte bis vor wenigen Jahren lediglich eine untergeordnete Rolle im Zusammenhang mit der Einbeziehung ergänzender Angebote und einer Verbesserung der Vernetzung im Alltag (Himmelsbach, Driebold, & Oswald, 2015). Erst im Zuge der allgemeinen Debatte um Inklusion und Teilhabe erhöhte sich sowohl in den Facheinrichtungen als auch in den Organisationen der Selbsthilfe die Aufmerksamkeit für die Einmündung und Teilhabe am Erwerbsleben, so dass zunehmend Fragen der Weiterbildung für Erwachsene mit Blindheit und Sehbehinderung im Erwerbstätigenalter in den Fokus rück(t)en. Beispielhaft sind hier die Projekte „Fokus Arbeit“ der Deutschen Blindenstudienanstalt blista e. V. (Fokus Arbeit, o. J.), das Projekt „Aktila“ des BFW Würzburg (Aktila, o. J..) sowie die Projekte „iBoB“ und „Agnes@work“ des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS e. V., o. J.) zu nennen. Dieser qualifikatorische und teilhabebezogene Aufmerksamkeitsfokus wird gegenwärtig auch auf das Feld der allgemeinen Erwachsenenbildung ausgeweitet. [17]

Mit Blick auf die Zielgruppe von blinden und sehbeeinträchtigen Personen sehen sich Ein­richtungen der öffentlichen Weiterbildung vor allem mit der (Aus-)Gestaltung informatorischer, räumlicher und didaktischer Barrierefreiheit konfrontiert. Barrierefreiheit in einem allgemeinen Sinne meint die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit – auch unter Einsatz von geeigneten Hilfsmitteln – von räumlichen Strukturen, Informationsquellen, Kommunikations­einrichtungen und anderen gestalteten Lebensbereichen, wie z.B. Bildungseinrichtungen und ihren Angeboten. „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Infor­mationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig“ (BGG § 4). [18]

Die folgende Systematisierung nach informatorischer, räumlicher und didaktischer Barriere­freiheit im Sinne einer Zugänglichkeit und Nutzbarkeit folgt der Beschreibung von Denker und Mootz (2019) und führt sie spezifisch für das Segment Blindheit und Sehbehinderung aus.14 [19]

Informatorisch [20]

  • Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit und der Angebotsberatung in einer Art und Weise, dass sie für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung zugänglich sind. Dazu zählen die aktive Bekanntmachung barrierefreier Angebote, barrierefreie Webseiten und Anmeldeformulare nach technischen und gesetzlichen Standards (BITV 2.0, 2019; WCAG, 2018), aber auch geschulte Personen für die Beratung von Interessenten.

  • Barrierefreie Aufbereitung des Kursprogramms (in Schwarz- und Punktschrift sowie für Screenreader zugänglich).

  • Informationen über Abläufe und Veränderungen in barrierefreier Form auf allen genutzten Kanälen.

  • Organisation und Kommunikation von möglichen Nachteilsausgleichen bei Prüfungen und Testierungen. [21]

Räumlich [22]

  • Organisation von Mobilität und Anreise im ländlichen Raum (Assistenzen, Sammeltaxis), geeignete Wegbeschreibungen mit räumlichen Beschreibungen und Entfernungsan­gaben, die ein selbstständiges Auffinden der Räumlichkeiten ermöglichen.

  • Taktile/auditive/digitale Kennzeichnung von Unterrichtsorten, Laufwegen, Gemeinschafts­flächen und Aufbewahrungsorten.

  • Angebot der Assistenz nach den Techniken der „sehenden Begleitung“ zur Orientierung auf dem Gelände, im Gebäude und in den Unterrichts- und Aufenthaltsräumen, Zulassung von Führhunden als Begleitung im Unterricht.

  • Barrierefreie Gestaltung der Lernumgebung: taktile/auditive/digitale Raumpläne, variable Beleuchtung, Einsatz von Farbkonzepten und Kontrasten zur Orientierung. [23]

Didaktisch [24]

  • Barrierefreie Aufbereitung von Unterrichts- und Prüfungsmaterialien, Einsatz taktiler, haptischer und auditiver Unterrichtsmittel, digitalisierte Inhalte auf barrierefreien Platt­formen.

  • Einsatz funktionaler Äquivalenzen für gängige Vermittlungsstrategien, Interaktionen zwi­schen Lehrenden und Lernenden sowie Lernenden und Lernenden. Dazu zählen vor allem die Verbalisierung von Abläufen und Inhalten, insbesondere von visuellen Darstellungen, die Vergrößerung von Texten und Darstellungen bei Sehbeeinträchtigung, die Berück­sichtigung des größeren Zeitbedarfs beim Erfassen von geschriebenen Inhalten und beim Erstellen von Texten sowie ggf. der Möglichkeit, Bewegungen und Handlungen „abzu­greifen“.

  • Adaption fachspezifischer Vermittlungsstrategien (Sprachen, Kunst, Sport, etc.). [25]

Als grundlegende Überlegung kann die Idee des Unterrichtens nach den Prinzipien des Uni­versal Designs for Learning (vgl. Burgstahler & Cory, 2008) gelten, welche die Nutzung weiterer Sinne, insbesondere des Hör- und Tastsinns, die Verwendung digitaler Medien und Hilfsmittel sowie die Einbeziehung von weiteren Lehrenden und/oder Assistenzen vorsehen. Dabei sollte stets das Ziel sein, die Lernsituation für alle Lernenden zu verbessern. Eine klare Informations­strategie, die auf gut zugängliche und einfache Lesbarkeit setzt, taktile Kennzeichnungen, die auch visuell wahrgenommen werden können, und variierende didaktische Designs ermöglichen allen Teilnehmenden eine größere Zugänglichkeit und individuelle Anpassung an ihre Lernbe­dürfnisse. [26]

Diese – bei weitem nicht vollständige – Auflistung und Sortierung von Aufgaben macht deutlich, dass inklusive erwachsenenpädagogische Fachlichkeit – hier lediglich mit Blick auf Barriere­freiheit im Sinne einer zugänglichen Gestaltung und Adaptivität der Angebote und Kursge­staltung betrachtet – bei weitem nicht bzw. nicht alleine durch die Kursleitungen aufzubauen und zu erbringen ist, sondern alle Abläufe und Personengruppen einer Weiterbildungs­ein­richtung bei der Umsetzung einer Bildungsdienstleistung tangiert. Inklusive Fachlichkeit ist eine Professionalitätsherausforderung für Leitung, Planung, Umsetzung und Administration gleichermaßen, die zudem mit Blick auf die verschiedenen Behinderungsarten und -grade variiert und konkretisiert werden muss. Angesichts des notwendigen Involviertheitsgrades der gesamten Einrichtung verwundert es nicht, dass die Bereitschaft der Einrichtungen, sich konkret und systematisch der Zielgruppe der Menschen mit Beeinträchtigung, hier der Menschen mit Sehbeeinträchtigung, zu öffnen, empirisch noch relativ gering ausgeprägt ist. Zu zahlreich erscheinen den Einrichtungsverantwortlichen (noch) die Barrieren und Hindernisse, die es für eine inklusionsorientierte Ausgestaltung des erwachsenenbildnerischen Regelbetriebs von Volkshochschulen zu überwinden gilt. In diesem Zusammenhang sind auch die – zum Teil rigiden – finanziellen Vorgaben von zu erwirt­schaftenden Kostendeckungsgraden und die be­grenzten Möglichkeiten der (verpflichtenden) Qualifizierung der Dozent_innen durch die Ein­richtungen nicht zu unterschätzende Hürden.15 [27]

Zwischenfazit: Inklusionsorientierte erwachsenenpädagogische Fachlichkeit als komplexe Bildungsdienstleistung

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, [28]

  • dass sich inklusionsorientierte erwachsenenpädagogische Fachlichkeit als ein koopera­tives Zusammenwirken unterschiedlicher Tätigkeitsprofile auf unterschiedlichen didak­tischen Ebenen fassen lässt, die erst im Zusammenspiel von Leitung, Planung, Adminis­tration und Kursgestaltung die bedarfsorientierte, inklusive pädagogische Leistung erbringen,

  • dass Inklusionsorientierung von der Bedarfserschließung über die Angebotsadressierung, Information und Beratung, die Gestaltung von Zugänglichkeit und Assistenz, die didak­tische Flexibilität und Adaptivität bis hin zum aktiven Einbezug des Umfeldes mit den ent­sprechenden Kooperationspartnern die gesamte pädagogische Prozesskette adressiert,

  • dass das Kursgeschehen und damit die unterrichtsbezogene inklusive Fachlichkeit nur einen Teilaspekt einer vorgelagerten, begleitenden und nachgelagerten Aktivitätenvielfalt darstellt und

  • dass in dieser Hinsicht die Entwicklung und Bereitstellung inklusiver Fachlichkeit als Arbeit an einer komplexen Bildungsdienstleistung bezeichnet werden kann.16 [29]

Weiterführende professionstheoretische Überlegungen – ein Ausblick

Die bisherigen Befunde sollen nun im Weiteren auf professionstheoretische Überlegungen bezogen werden, die pädagogische Fachlichkeit und Professionalität im Mehrebenensystem (von Erwachsenenbildung) verorten und gerade die Verknüpfungsleistung zwischen und inner­halb der Ebenen betonen. [30]

Die Professionalitätsdebatte in der Erwachsenenbildung ist überaus differenziert und kann im vorliegenden Aufsatz aus Platzgründen nicht (systematisch) aufgearbeitet und dargestellt werden. In der Perspektive der bisherigen Argumentation sind es vor allem drei Charakteristika im professionstheoretischen Diskurs der Erwachsenenbildung, die hier hervorgehoben werden sollen. Ein erstes Charakteristikum betrifft die Dominanz von Theoremen der ‚Perspektiven­verschränkung‘ (Gieseke), der ‚wechselseitigen Erschließung‘ (Nuissl), der ‚Suchbewegung‘ (Tietgens), die allesamt auf die Besonderheiten der Erwachsenenbildung als ein Modus freiwilliger Bildungsteilnahme rekurrieren – mit den damit verbundenen Notwendigkeiten einer vorgelagerten und begleitenden ‚Passung‘ sowohl in institutionell-organisatorischer als auch interaktiv-teilnahmebezogener Hinsicht. Ein zweites Charakteristikum betont die Öffnung und Angewiesenheit der verschiedenen Tätigkeitsbereiche füreinander – selbst und gerade dort, wo ein spezifischer Tätigkeitsbereich im Fokus steht. Dies zeigt sich sowohl bei Studien zum Programmplanungshandeln (Fleige et al., 2018; Gieseke, 2000) als auch bei Untersuchungen zum Leitungshandeln (Robak, 2004) zur Kursgestaltung (Schrader, 2018) oder im adminis­trativen Bereich (Dietsche, 2015). [31]

Ein drittes Charakteristikum der erwachsenenpädagogischen Debatte, das hier etwas ausführ­licher vertieft werden soll, ist die Verortung professionellen Handelns in einer Mehrebenen­perspektive. Neben den breit rezipierten Arbeiten von Hans Tietgens (1992) und Josef Schrader (2011), die erwachsenenpädagogisches Handeln auf unterschiedlichen didaktischen Hand­lungsebenen bzw. in einem systemtheoretischen Mehrebenenmodell verorten,17 hat vor allem Ortfried Schäffter in seinen Arbeiten auf die Herausforderung von Professionalität als einer komplexen funktionalen Gesamtleistung der Organisation auf unterschiedlichen Ebenen hinge­wiesen und dabei die Begriffe ‚Kontextwissen‘ und ‚Relationsbewusstsein‘ ins Spiel gebracht (Schäffter, 1998, S. 101ff.). Kontextwissen meint dabei „das Wissen um das eigene Profil, dessen Schnittflächen über sich selbst hinausweisen“ (Schäffter, 1998, S. 103), Relations­bewusstsein hingegen fokussiert „die explizite Bezugnahme auf übergeordnete Sinnzu­sammenhänge“ (Schäffter, 1998, S. 103). Erst das „Wissen um den eigenen Wirkungshorizont (Kontextwissen) und das Bewusstsein von der Verschränkung der eigenen Tätigkeit mit den Leistungsanteilen der anderen (Relationsbewußtsein)“ (Schäffter, 1998, S. 102) ermöglicht im Zusammenspiel der unterschiedlichen organisationalen Relevanzbereiche die pädagogische Gesamtfunktion der Organisation. Übertragen auf die Situation der öffentlichen Weiterbildung für Teilnehmende mit Blindheit und Sehbehinderung würde dies bedeuten, sonder- und rehabilitationspädagogische Wissensbestände in Bezug auf Blindheit und Sehbehinderung als Kontextwissen in die erwachsenenpädagogische Fachlichkeit zu integrieren, sich dennoch ihrer Grenzen bewusst zu sein und im Sinne eines Relationsbewusstsein gezielt Kooperation und Austausch mit Fachexpert_innen und Teilnehmenden mit Beeinträchtigung zu suchen. [32]

In Weiterführung der Überlegungen von Schäffter haben Wolfgang Seitter (2011, S. 132f.) und insbesondere Hildegard Schicke (2012) ein Verständnis von organisationsbezogener bzw. orga­nisationsgebundener Professionalität entwickelt, das die komplexen Institutionalstrukturen von (allgemeiner) Weiterbildung ebenso berücksichtigt wie die darin eingelagerten Anstellungsver­hältnisse und ebenenbezogenen Tätigkeitsausrichtungen (Leitung, Programmplanung, Kursge­staltung, Verwaltung). Dieses Verständnis fokussiert Professionalität(sentwicklung) vor allem als ein wechselseitiges, relationales Verschränkungsverhältnis von Profession und Organisa­tion(sentwicklung) mit einer starken Betonung der Standortgebundenheit der konkreten community of practise vor Ort. Bezogen auf die Entwicklung inklusiver erwachsenen­pädagogischer Fachlichkeit bei Blindheit und Sehbeeinträchtigung würde diese Perspektive eine stärkere Rückbindung an die je konkreten organisationalen Voraussetzungen und Kontext­bedingungen für blinden- und sehbehinderungsspezifische Öffnungen implizieren und die Arbeit an den verschiedenen Dimensionen von Barrierefreiheit, Zugänglichkeit und Adaptivität als eine Verschränkung von professions- und organisationsbezogenen Aufgaben und Abläufen konzi­pieren. [33]

In jüngster Zeit sind weitere konzeptionell-theoretische Überlegungen entwickelt worden, die organisationsgebundene Professionalität stärker netzwerkanalytisch und netzwerkpädagogisch betrachten und damit den komplexen Konstitutionsleistungen Rechnung tragen, die gerade auch bei inklusionsorientierten Bildungsarrangements zu berücksichtigen sind (Lauber-Pohle, 2018, 2019). Die Einbindung netzwerkanalytischer Perspektiven schärft den Blick für die Herausforderungen der sog. „doppelten Orientierungsnotwendigkeit“ (Lauber-Pohle, 2019, S. 14), die sowohl für die Einrichtungen als auch die Adressat_innen einer inklusionsorientierten Erwachsenenbildung zu leisten sind: nämlich die Herausarbeitung einer inhaltlich-fachlichen Passung und die teilweise erheblichen Anstrengungen bei der Sicherung von kontinuierlicher zugangs- und teilhabebezogener Passung. Bezogen auf den Adressatenkreis blinder und sehbeeinträchtiger Personen würde eine netzwerkanalytische Perspektive die vielfältigen internen und vor allem auch externen Kooperations- und Netzwerkbeziehungen zur Bereit­stellung und Sicherung von Orientierung, Mobilität, Hilfsmitteln oder Didaktikmaterial aufzeigen und damit – stärker als andere Ansätze – auf die notwendigen inter-organisationalen Öffnungen und Kooperationen (mit der Selbsthilfe, blindenpädagogischen Fachverbänden oder sonder­pädagogischen Einrichtungen für Blindheit und Sehbeeinträchtigung) hinweisen. [34]

Insgesamt erscheint es lohnenswert, die hier kursorisch skizzierten Überlegungen weiter zu vertiefen und (erwachsenen-)pädagogische Professionalität als kooperative Mehrebenen­leistung in den Blick zu nehmen. Inklusionsorientierte Erwachsenenbildung untermauert und verschärft diese Kooperationsleistung, da sie die gesamte Prozesskette erwachsenen­pädagogischer Fachlichkeit immer wieder auf den Prüfstand inklusionsförderlicher Praktiken stellt bzw. stellen muss. [35]

Dieses Desiderat bildet den Hintergrund eines Projektes, aus dem heraus der vorliegende Aufsatz entstanden ist. Das Projekt „Qualifizierung für eine inklusive, allgemeine Erwachsenenbildung am Beispiel von Blindheit und Sehbeeinträchtigung – iQ_EB“ erarbeitet ein Konzept für die Qualifizierung von päda­gogischem Personal für inklusive Bildung im Kontext der allgemeinen öffentlichen Weiterbildung mit Schwerpunkt auf die Zielgruppe blinder und sehbeeinträchtigter Menschen. Das Projekt wird vom Bundes­ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Richtlinie zur „Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte für inklusive Bildung“ unter dem Förderkennzeichen 01NV1714 gefördert. Weitere Informationen finden sich unter https://www.uni-marburg.de/de/fb21/erzwinst/arbeitsbereiche/eb-ajb/eb/forschung/projekte/projekt-iq-eb.
Dieses Spezifikum von Erwachsenenbildung und die daraus resultierenden Konzeptionen von Fachlichkeit werden umso deutlicher, wenn man den Vergleich zur Schule heranzieht. Der schulische Lehrplan ist – anders als das Programmangebot der Erwachsenenbildung – eine vorgegebene Systematik „kanonisierter Bildungsgüter“ (Schrader, 2018, S. 39). Lehrerhandeln schließt daher – anders als das pro­fessionelle Handeln in der Erwachsenenbildung – an bereits getroffene institutionelle Vorentscheidungen „über Ziele, Fächerstruktur, Stundentafel und Lehrplan, die Unterrichtsorganisation und die organisa­torische Regelung von Zeit- und Arbeitsverteilung sowie die Einführung universalistischer Gütemaßstäbe“ (Baumert & Kunter, 2006, S. 472) an und hat seinen Fokus in der „Vorbereitung, Inszenierung und Durch­führung von Unterricht“ (Baumert & Kunter, 2006, S. 477). Eine derartige Engführung und Fokussierung von professionellem Handeln ist im Kontext allgemeiner, offener Erwachsenenbildung wenig zielführend, da diese aufgrund ihres Freiwilligkeitsprinzips und ihrer Nachfrageorientierung eine deutlich komplexere – kollektive und kooperative – Relationierung von Inhaltsbestimmung, Adressatenbezug, Angebotsformat und Vermittlungsform vornehmen muss.
Die Konzeptionalisierung von Fachlichkeit als Resultante eines kooperativen Miteinanders von Leitung, Planung, Kursgestaltung und administrativer Begleitung ist in der Erwachsenenbildungswissenschaft nicht neu. Gleichwohl ist die Erzeugung einer kooperativen Gesamtleistung in der Praxis der Erwachsenen­bildung eine immer wieder (neu) zu bewältigende Herausforderung (vgl. dazu in systematischer Perspektive Goeze & Stodolka, 2019). Dies zeigt sich vor allem dort, wo neue Zielgruppen angesprochen werden sollen und Einrichtungen der Erwachsenenbildung sich gerade nicht damit begnügen (können), in partikularer Form – etwa allein auf Planungs- oder Umsetzungsebene – zu agieren. Vielmehr ist die Ansprache neuer Zielgruppen als ein umfassender Prozess zu definieren, der auf allen Ebenen der Organisation bedient werden muss (wenngleich es empirisch auch immer wieder zu pragmatischen Ein­grenzungen und Insellösungen kommt). Prominent zeigt sich diese Herausforderung bei den Bestre­bungen zur interkulturellen Öffnung (vgl. exemplarisch Ruhlandt, 2016) oder zur inklusiven Öffnung von Einrichtungen. Eine zusätzliche Komplexitätssteigerung bei der kooperativen Aufgabenbewältigung in beiden Bereichen liegt zudem in der Notwendigkeit einer starken inter-organisationalen Öffnung, Kooperation und Vernetzung, um die professionelle Anschlussfähigkeit und die damit verbundenen Organisationsroutinen für die neuen Zielgruppen überhaupt erst herzustellen und gewährleisten zu können.
Weitere Anbieter öffentlicher Erwachsenenbildung sind u.a. Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeber-, Bauern- und Sportverbände.
Die Kursgebühren unterliegen dabei erheblichen Preisschwankungen. Diese Unterschiede sind Resultat der unterschiedlich ausgeprägten Höhe der Länderfinanzierung über die Weiterbildungsgesetze und der Bereitschaft der Städte und Gemeinden, die häufig kommunal verankerten Volkshochschulen mitzu­finanzieren. Zum Finanzierungsmix der Volkshochschulen vgl. Reichart, Lux, & Huntemann, 2018, S. 88.
Zum Verwaltungshandeln als positionsübergreifende Tätigkeitsdimension in der öffentlichen Weiter­bildung vgl. Dietsche, 2015.
Festangestellte Lehrkräfte gibt es nur in wenigen spezifischen Segmenten wie SGBIII- geförderte Qualifizierungsmaßnahmen oder sprachliche Integration (Reichart et al., 2018).
Zu den Lehrkräften in der Erwachsenenbildung vgl. Autorengruppe wb-personalmonitor, 2016; Reichart et al., 2018, S. 10 u. 11; Schrader, 2018.
Vgl. die entsprechenden Berichte in den beiden Themenschwerpunkten „Inklusive Erwachsenenbildung“ (2019) und „Ent-Hinderung“ (2019) sowie die Überblicke in Heimlich & Behr, 2018 und Schlummer & Ackermann, 2016. Vgl. exemplarisch die Praxisdokumentationen über Sachsen (Aegerter, Bornsdorf, Lindner, & Rohr, 2018) und Bamberg (Hemm, 2018). Die Berichte und Praxisdokumentationen fokus­sieren die Herausforderungen inklusiver Erwachsenenbildung aus unterschiedlichen Perspektiven und in unterschiedlicher Detaillierungstiefe. So gibt es lokal- (Bamberg, Gießen-Lich) und regionalbezogene (Sachsen) Dokumentationen, Berichte mit Blick auf spezifische Behinderungsarten (u.a. Blindheit und Sehbeeinträchtigung, Lernschwierigkeiten, geistige Behinderung) sowie Berichte über spezifische Themenfelder (Assistenz, Fortbildung des Personals, Einsatz von Menschen mit Behinderung als Bildungsfachkräfte). Die Auswertung der Dokumentationen und Berichte erfolgte vor allem mit Blick auf die Frage, wie Einrichtungen der allgemeinen Erwachsenenbildung (Volkshochschulen) konkret Prozesse und Dimensionen des Vorgehens bei der inklusiven Öffnung ihrer Einrichtung beschreiben. Von den wenigen empirischen Studien war vor allem die Programmheftanalyse von 57 Volkshochschulen mit Blick auf Benennungspraktiken von Inklusion in den jeweiligen Programm- und Fachbereichen sowie den entsprechenden Ankündigungstexten (Schreiber-Barsch & Fawcett, 2019) von Bedeutung.
Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen von Lauber-Pohle, 2019, S. 15 mit einer dezidierten Bezugnahme auf Hans Tietgens.
Gleichwohl finden sich empirisch immer wieder deutliche Hinweise auf ein häufig gestaffeltes bzw. selektives Vorgehen bei der konkreten Planung und Umsetzung inklusiver Lehr-/Lernarrangements. In der Auswertung der Befragung der Leitungen der hessischen Volkshochschulen im Rahmen des Projektes iQ_EB (s. Anmerkung 1) fanden sich etwa folgende Abstufungen: individuelle, situationsbezogene Lösungen, teilstandardisierte Lösungen auf Basis vorhergehender Erfahrungen, Kooperation mit einem lokalen Partner zur Entwicklung inklusiver Angebote (oft punktuell und zielgruppenspezifisch), projekt­förmige Entwicklung einer Inklusionsstrategie sowie die Verankerung von Inklusion als Querschnittsthema im Gesamtkonzept der Einrichtung, oftmals in der Position einer/s Inklusionsbeauftragten. Obwohl die Auflistung eine Steigerungsform impliziert, finden sich durchaus Mischformen innerhalb einer Einrichtung. Dies verdeutlicht die Differenz von normativer (idealer) Zielsetzung und faktischer Realisierung.
Zu weiteren Beeinträchtigungsformen wie körperliche und kognitive Beeinträchtigungen vgl. Denker & Mootz, 2019.
Altersbedingte Makula Degeneration: eine Erkrankung der Netzhaut, die in der Regel nicht zum vollständigen Verlust des Sehvermögens, jedoch zum Ausfall des zentralen Gesichtsfeldes und damit zum Verlust der Lesefähigkeit führt.
Grundsätzlich ist dabei auch nach Blindheit und Sehbehinderung zu differenzieren, also danach, ob ein vorhandenes Sehvermögen eingesetzt werden kann oder nicht. Gleichzeitig besteht auf Seiten der Teilnehmenden die Notwendigkeit, die angebotenen Techniken und eigenen Hilfsmittel sicher einsetzen zu können. Diese Fähigkeiten können in der Regel nicht im Rahmen der Kurse erworben werden, außer dies ist explizit Gegenstand des Angebots, z.B. im Rahmen einer Kooperation.
Diese faktischen Hürden, die hier nur ansatzweise angedeutet werden können, belegen umso mehr, dass eine ‚echte‘ Inklusionsorientierung nur als durchgängige, pädagogisch gewollte Gesamtleistung der Organisation zu gewährleisten ist. Dass ‚partikulare‘ Lösungen der exklusiven Zielgruppenorientierung oder der Beschränkung auf nur eine Behinderungsart notwendige und sinnvolle Zwischenschritte sein können, soll damit nicht bestritten oder kritisiert werden.
Vgl. die strukturelle Ähnlichkeit zu Angeboten der Grundbildung bzw. für sog. bildungsferne Zielgruppen bei Feld, Schemmann, & Seitter, 2016, S. 65f..
Bei aller Unterschiedlichkeit der Referenztheorien betonen beide Autoren die relative Autonomie und die gleichzeitige Verschränkung der Ebenen, prominent ablesbar im Begriff der ‚institutionellen Staffelung‘.

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Kontakt:

Sabine Lauber-Pohle, Philipps-Universität Marburg, Institut für Erziehungswissenschaft, Wilhelm-Röpke-Str. 6A, 35032 Marburg
E-Mail: sabine.lauber-pohle@staff.uni-marburg.de

Zitation:

Lauber-Pohle, S. & Seitter, W. (2020). Erwachsenenpädagogische Fachlichkeit für eine inklusive allgemeine Erwachsenenbildung: eine kooperative Mehr­ebenenherausforderung am Beispiel von Blindheit und Sehbeeinträchtigung. QfI - Qualifizierung für Inklusion, 2(1), doi:

Eingereicht:

15.09.2019